Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
wirkte verletzlicher denn je auf Saul. Wieder wurde er von dem Drang, sie zu umarmen, fast überwältigt. Er wollte ihr sagen, dass er es irgendwie schaffen würde, alles in Ordnung zu bringen, doch er wusste, dass sie das auf keinen Fall wollte. So etwas wollte sie nicht von ihm hören.
„Diese Freundin von dir …“
„Sie ist nicht meine Freundin“, entgegnete Josey kühl. „Ich habe keine Freunde.“
Saul runzelte die Stirn. Laut Karen war Josey sehr beliebt. Karen hatte sich immer damit gebrüstet, in welchen gesellschaftlichen Kreisen sie sich bewegten und wie viele Freunde Josey in dieser Gesellschaft gewonnen hatte. Normalerweise waren diese Gespräche immer mit der Forderung nach mehr Geld verbunden gewesen. Josey spielte Tennis, Josey lief Ski, und sie fuhr im Sommer ins Ausland zu Ferien in den Sommerhäuschen von Freunden.
Die ganze Familie war Mitglied in einem exklusiven Countryklub. Sowohl Karen als auch Josey gingen in ein teures Tanz- und Fitnessstudio. Das wusste Saul alles genau, weil er die Rechnungen dafür bezahlte.
Irgendetwas ermahnte ihn, jetzt vorsichtig zu sein. Er kam sich sehr hilflos vor und so von ihrer Bemerkung überrumpelt, dass er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. War das nur eine der vielen Übertreibungen, die Teenager von sich gaben? Ich habe keine Kleider, alle anderen dürfen, alle anderen Eltern lassen es zu, niemand muss so viel zu Hause helfen, und so weiter. Oder ging diese Bemerkung tiefer? War sie entscheidend?
Bevor er seine Gedanken ordnen und etwas sagen konnte, platzte es aus ihr heraus. „In der Schule hassen mich alle. Sie lachen mich aus und sagen, ich sei ein Emporkömmling. Sie sagen, jeder weiß, dass Ma und Richard nicht viel Geld haben und sich nur überall aufdrängen.“
Sie atmete tief durch. „Sie wussten sogar, dass Ma mir vom Schulbasar eine gebrauchte Schuluniform kaufen musste.“
Saul wirkte immer ernster, und langsam stieg eine Wut in ihm hoch. Er hatte für die Schuluniformen seiner beiden Kinder bezahlt, das war noch keine zwölf Monate her. Angeblich neue, nicht gebrauchte. Jedenfalls hatte er das gedacht. Anscheinend übertraf Karens Ehrgeiz, sich in den besten Kreisen zu bewegen, Richards Einkommen und die finanzielle Unterstützung durch ihren Exmann.
„Ma will das nicht wahrhaben. Sie glaubt, dass alle uns schätzen und dass niemand merkt, dass sie und Richard nie für etwas bezahlen. Sie lassen sich ständig überall einladen. Im letzen Winter hat sie die Conrads praktisch direkt gefragt, ob sie mich mit zum Skilaufen nehmen. Und ich habe gemerkt, dass sie mich nicht dabeihaben wollten. Fiona Conrad verachtet mich. Sie hat während des ganzen Urlaubs kein einziges Wort mit mir gesprochen. Sicher war sie es, die allen von meiner gebrauchten Schuluniform erzählt hat.“
„Ich hasse diese Schule“, fuhr sie fort. „Ich will dort nicht hin. Das sind alles eingebildete Schnösel.“
„Und deshalb hast du es darauf angelegt, hinausgeworfen zu werden?“
Sauls ruhige Frage schien sie zu verblüffen, als habe sie fast vergessen, dass er mit im Zimmer war. Sie errötete wieder und verkrampfte sich am ganzen Körper.
„Wieso gibst du dir überhaupt die Mühe?“, stieß sie schließlich hervor. „Du bist doch nur hier, weil Ma dich gerufen hat.“
„Das ist nicht wahr, Jo.“
Er sah ihren Blick, ein rasches, prüfendes Mustern, das ihn zutiefst traf.
„Deine Mutter hat mich nicht gerufen. Ich bin gekommen, weil ich es wollte. Weil du meine Tochter bist.“
„Und du wolltest, dass ich dir keine Schande mache, stimmt’s?“
„Irrtum“, erwiderte er in demselben kühlen Tonfall.
Er merkte, dass er langsam anfing, bei ihr wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Aber sie war noch immer misstrauisch, und er vermutete, dass sie ihn niemals so weit in ihr Vertrauen gezogen hätte, wenn sie nicht so unglücklich und erschreckt gewesen wäre.
„Ich bin gekommen, weil du meine Tochter bist und ich dich liebe“, sagte er leise.
Einen Moment lang dachte er, sie würde ihn allein im Zimmer sitzen lassen. Er hielt die Luft an und wusste, dass er nichts dagegen tun könnte, aber zu seiner Erleichterung blieb sie und erwiderte nur spöttisch: „Ja, klar tust du das.“ Daraus klang so viel Verachtung und Wut, dass seine Augen vor Schuldgefühlen brannten. All die Jahre lang hatte er versagt und es nicht geschafft, ihr zu zeigen, dass das, was er sagte, stimmte.
Eine Stunde später ging er fort und nahm
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