Spiel ums Glueck
bittere Armut widerspiegelten, in der sie lebten. Es mangelte ihren Augen an Glanz und ihren Mienen an Unbeschwertheit.
„Sehr hübsch hast du das gemacht, meine Liebe“, bemerkte Cassia lächelnd, als sie dem letzten Mädchen in der Reihe das zerknitterte Stück Leinen mit der Stickarbeit zurückgegeben hatte. Das eingeschüchterte Kind erwiderte ihr Lächeln nicht, und Cassia wollte ihm ermutigend den Arm tätscheln. Verschreckt wich es ihrer Berührung aus und rannte ans Ende der Reihe, um sich hinter seiner Vorgängerin zu verbergen.
„Das ist nicht Ihr Fehler, Miss Penny“, beruhigte die Pfar-
rersfrau sie. „Der Kleinen ist der Umgang mit einer vornehmen Dame wie Ihnen nicht vertraut, und die Mädchen haben es lernen müssen, Fremden gegenüber vorsichtig zu sein, um zu überleben.“
„Ich weiß, Mrs Barney.“ Cassia seufzte und wünschte sich insgeheim, einen Weg zu finden, wie sie das Vertrauen des Kindes gewinnen konnte. In Woodbury hatte es ihr großen Spaß gemacht, in der Gemeindeschule zu unterrichten, doch diese Mädchen hier waren nicht mit ihren Schülern von damals zu vergleichen. Sie waren an ein Leben in den ärmsten Vierteln der Stadt gewöhnt und kannten keine wirkliche Sicherheit. Und Vertrauen war ihnen ebenso fremd wie frisches Gemüse oder neue Kleider.
„Ich möchte so gern mehr für sie tun“, sagte sie. „Nicht nur einmal in der Woche hier sitzen wie Ihre Majestät persönlich.“
„Aber Sie haben diesen armen Geschöpfen bereits so viel ermöglicht, Miss Penny, Sie und Ihre Schwestern.“ Mrs Barney klatschte in die Hände, und die Mädchen machten einen Knicks, um den Raum anschließend wieder zu verlassen. Dabei drückten sie ihre Stickereien gegen die Brust, als handele es sich um einen kostbaren Schatz. „Sie führen die Arbeit Ihres Vaters fort, Gott hab ihn selig, und das in bewundernswerter Weise. Sie setzen sich für die weniger Begünstigten ein, was den meisten jungen Frauen nicht möglich wäre oder was viele erst gar nicht wagen würden. Sie besitzen - wie einst Ihr Vater - den Mut, den Weg einzuschlagen, den Sie für den besten halten, um den Armen so gut wie möglich zu helfen.“
Cassia sah sehnsüchtig zu der Tür hinüber, durch welche die Mädchen entschwunden waren. „Wenn ich meinem Gewissen folgen würde, müsste ich Ihnen helfen, die Kinder zu unterrichten.“
„Was - darin, die paar hübschen Stickereien anzufertigen, die sie eben so stolz präsentiert haben?“ Die Frau seufzte resignierend. „Ich hoffe in der Tat, ihnen den Umgang mit
Nadel und Faden so gut beizubringen, dass sie sich in einer Schneiderwerkstatt verdingen und auf ehrenwerte Weise selbst ernähren können. Aber die traurige Wahrheit ist, dass die meisten von ihnen dennoch wieder in der Gosse landen werden, in der sie aufgewachsen sind.“
Cassia musste an die auffällig geschminkten jungen Frauen denken, die bei den Tavernen hier im Viertel herumstanden. Das Elend dieser Mädchen hatte ihrem Vater sicher besonders zu schaffen gemacht, hatte er daheim doch selbst drei Töchter aufzuziehen gehabt.
„Wie können Sie sagen, dass meine Schwestern und ich so viel für Ihre Schützlinge tun?“, protestierte sie. „Im Vergleich zu Ihrer Arbeit ist unser Beitrag kaum der Rede wert. “
„Sie geben uns das Geld, Miss Penny.“ Die Pfarrersfrau lächelte. „Die Schule ist nur ein bescheidener Anfang. Mit Ihren Spenden kann ich den Kindern und den mittellosen Frauen Brot und Gemüse und frische Milch kaufen. Würden wir sie nicht versorgen, müssten sie hungern. Ich kann Säuglinge und Kinder aufs Land schicken, damit sie sich von dem Dreck und der schlechten Luft hier in der Stadt erholen. Und ich kann anstellige Knaben an Handwerksmeister vermitteln, damit sie bei ihnen in die Lehre gehen, anstatt zu Taschendieben zu werden. Es ist schon viel gewonnen, wenn ich die Kinder über den Tag retten kann.“ Die Pfarrersfrau legte ihre von harter Arbeit raue Hand auf Cassias Arm. „Sie haben ein gutes Herz, Miss Penny“, fuhr sie fort. „Aber Sie haben auch die Möglichkeit, die notwendigen finanziellen Mittel beizusteuern, wozu Leute wie wir niemals in der Lage wären. Geld zu besitzen kann einen großen Unterschied ausmachen, Miss, und es ist Geld, was wir am dringlichsten brauchen.“
„Geld“, wiederholte Cassia seufzend. Läuft alles immer wieder darauf hinaus? fragte sie sich insgeheim.
Mrs Barney nickte. „Was Sie und Ihre Schwestern in ,Penny House“ in einer Nacht
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