Spiel unter Freunden
einen bereits
auf Eis gelegten Fall wieder ganz neu aufrollen, der eine
befreundete Person beträfe. Der würde man leider
ziemliche Probleme machen müssen.»
«Und der Fall
betraf …» Annie strich sich mit der Zunge über
die Lippen. «Im Jahr bevor ich an die Uni kam, hab ich einen
Mann erstochen.» Sie sah Gino an, dessen Kinnlade wieder
heruntergefallen war, und schenkte ihm ein Lächeln, das einen
weniger kräftigen Mann umgeworfen hätte. «Die
Fliegen, Süßer», erinnerte sie ihn mit einem
sanften Klaps unters Kinn. Und dann war sie auch schon zur Tür
hinausgeschwebt.
Grace erwartete sie am
Fahrstuhl. Mit einer Schulter lehnte sie an der Wand und sah in
ihrem langen schwarzen Staubmantel wie ein Model aus, das den
Cowboy spielte.
Zudem hatte sie dieses
kaum wahrnehmbare wissende Lächeln aufgesetzt, bei dem Annie
immer eine Gänsehaut bekam.
«Du hast dein
Herz ausgeschüttet, oder, Annie?»
«Ich hab viel
eher dein Herz ausgeschüttet, Darling. Aber meins auch ein
bisschen.» Grace stieß sich von der Wand ab und blickte
zu Boden. Das schwarze Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein Vorhang.
«Wenn ich gemeint hätte, dass sie alles wissen
müssten, hätte ich es ihnen erzählt. Ich kann
inzwischen darüber sprechen. Ich kriege keinen
Nervenzusammenbruch mehr.»
«Sie mussten
tatsächlich alles wissen, allein schon damit sie ihre Spur
weiter verfolgen und uns nicht im Nacken sitzen. Aber es gibt auf
Gottes Erdboden keinen Grund dafür, dass du darüber
hättest sprechen müssen. Weder zu ihnen noch zu sonst
jemandem.» Annies Mund wurde zur schmalen Linie.
Störrisch sagte sie: «Verdammt. Minneapolis fing gerade
an, mir zu gefallen. Wenn dieser Tommy an die Akte rankommt, ist
unsere Tarnung aufgeflogen, und wir werden abhauen müssen.
Wieder ganz von vorn anfangen.» Grace drückte auf den
Fahrstuhlknopf und sah dabei auf die Anzeige über der
Tür. «Wir haben getan, was wir konnten.
Jetzt ist es ein
Wartespiel.»
Kapitel 30
Nachdem Annie Belinsky
gegangen war, saßen Magozzi und Gino fünf Minuten lang
vor der Tafel mit den Fotos. Sie sprachen nicht, sondern
verarbeiteten nur, was sie ihnen von Atlanta erzählt
hatte.
«Was denkst du
gerade?», fragte Magozzi schließlich.
Gino knurrte.
«Dass ich losgehen sollte, um einen FBI-Agenten abzuknallen.
Nur um mich besser zu fühlen.»
«Da waren auch
Cops im Spiel. Alles kannst du dem FBI nicht zur Last
legen.»
«Weiß ich
ja. Das macht es nur noch schlimmer.» Er drehte sich um und
sah Magozzi an. «Aber damit ist MacBride noch lange nicht von
der Liste der Verdächtigen gestrichen. Im Gegenteil, es macht
sie sogar zu einem noch besseren Kandidaten. Es wäre doch der
echte Kick für einen Killer, oder? Leg ein paar Leute um und
sorg gleichzeitig dafür, dass alle Mitleid mit dir haben, weil
sie dich für ein Opfer halten?
Und da ist noch etwas
anderes, was mir zu denken gibt. Wenn sie nicht die Mörderin
ist, müsste sie da nicht eigentlich für den Rest ihres
Lebens gaga sein, nachdem sie den ganzen Scheiß durchgemacht
hat?»
«Offenbar ist
sie das ja auch gewesen, zumindest eine Zeit
lang.»
«Eine Woche. So
lange könnte man das sogar im Kopfstand simulieren.» Mit
einem Stoßseufzer sagte Magozzi: «Sie war es nicht,
Gino.»
«Bist du sicher,
dass du nicht mit einem Körperteil unterhalb der
Gürtellinie denkst?» Magozzi lehnte sich zurück und
rieb sich die Augen. «Ich bin gar nicht sicher, dass ich
überhaupt noch denke. Machen wir uns an die Arbeit.» Im
hinteren Teil des Besprechungsraums der Spezialeinheit befand sich
eine große alte Wandtafel, die seit Jahren nicht mehr benutzt
worden war. Heutzutage war alles schicker. Man benutzte
Magnettafeln, digitale Fotos, mit dem Computer generierte
Vergleichsdiagramme, Wahrscheinlichkeitsdiagramme und Grafiken,
angesichts deren Disney-Zeichner vor Neid erblasst wären. Doch
Gino Rolseth und Leo Magozzi waren immer noch der Ansicht, dass es
den Denkprozess förderte, wenn man wichtige Dinge
handschriftlich festhielt.
Sie gingen also zur
Tafel und fassten alles in Diagramme, atmeten den Geruch von
Kreidestaub ein, rieben die Hände aneinander, wenn sie
staubtrocken geworden waren.
«Okay»,
sagte Gino und trat einen Schritt zurück. «Ist doch wohl
sonnenklar, oder? Vor ungefähr zehn Jahren gab es eine
Mordserie an der University of Georgia, und die Leute von
Monkeewrench steckten drin bis über beide Ohren. Jetzt haben
wir eine Mordserie in Minneapolis, und rate mal, wer sich
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