Spiel unter Freunden
lachte und dann sagte:
«Erwischt.» Mitch riss die Hand von der Maus
zurück und wirbelte auf seinem Stuhl herum. Sie waren alle
versammelt: Grace, Annie, Roadrunner. Er konnte kaum glauben, dass
sie so dicht hatten an ihn heranrücken können, ohne dass
es ihm aufgefallen war.
Und sie grinsten
allesamt. «Was?»
«Du spielst. Du
spielst ja nun doch unser Game, Mitch», stichelte
Roadrunner.
«Ich spiele
nicht. Ich versuche nur, Zugang zu finden. Aber jetzt habe ich
wirklich keine Zeit mehr dafür.» Die anderen schauten
zu, wie er leicht verdrießlich aufstand und auf die Wand aus
Glasbausteinen zusteuerte, die sein Büro vom restlichen Loft
trennte. Im letzten Augenblick drehte er sich noch um.
«Grace, hast du einen Moment Zeit?»
«Sicher.»
«Und
Harley?»
«Ja,
Kumpel?»
«Ist das Ding
auf meinem Computer?» Harley grinste. «Ist es schon
immer gewesen.» Grace folgte Mitch in sein Büro und
ließ sich auf den Besucherstuhl sinken. Sie beobachte ihn
dabei, wie er sein Ankunftsritual durchzog.
Anzugjackett auf
den Holzbügel, obersten Knopf schließen.
«Wie war Dianes
Flug?»
«Lang.» Anzugjackett in den
Wandschrank, Wandschranktür schließen.
«Sie hat mich
gestern Abend aus L.A. angerufen.»
«Hat sie mir
erzählt. Eine halbe Stunde habt ihr geredet, sagte
sie.» Quer durchs Zimmer bis zum
Arbeitstisch, Manschettenknöpfe lösen und in das
Mittelfach der mittleren Schublade fallen lassen. Grace lächelte in
sich hinein. «Sie war lustig. Aufgekratzt. Immer noch high
von der Ausstellung.»
«Sie hat ja auch
einen Haufen Geld verdient. Hat gleich in der ersten Stunde oder so
alle Bilder verkauft. Wieder einmal.»
«Sie ist unser
Star. Weiß sie, dass wir mit dem Spiel diese Woche online
gegangen sind?» Ärmel links und rechts
dreimal umkrempeln, dann hinsetzen.
«Das weiß
sie. Wieso?»
«Mein ja nur.
Sie hat es nämlich nicht erwähnt. Kam mir ein bisschen
seltsam vor.» Mitch stöhnte leise. «Keinem von uns
bleibt zu diesem Zeitpunkt noch groß etwas zu sagen. Es ist
jetzt da draußen. Zu spät, um es noch
aufzuhalten.» Reinigungstuch aus der
Vakuumverpackung, Schreibtischplatte abwischen. «Es ist nur ein
Spiel, Mitch.»
«Wäre es
abwegig, darauf hinzuweisen, dass Mord kein Spiel ist?» Grace
atmete kurz und entnervt aus. «Das von dem Mann, der Time
Warrior geschaffen hat.»
«Das war etwas
anderes. Der Time Warrior ist ein Guter, der
gegen das Böse kämpft …»
«Dasselbe hier.
Der gute Detective, der böse Serienkiller.»
«… und
der Warrior benutzt einen Atomisierer. Kein Blut, keine Eingeweide
…»
«Aha, verstehe.
Mord geht in Ordnung, solange es unblutig abgeht.»
«Nein, verdammt
nochmal, es geht um mehr als das. Erstens mal führt der Time
Warrior einen Krieg . Er ist Soldat .»
«So? Mord geht
in Ordnung, solange es unblutig abgeht und solange man eine Uniform
trägt und der Mord sich mit fadenscheinigem Patriotismus
verbrämen lässt …»
«Scheiße
nochmal, Grace, fang nicht schon wieder damit an!»
«Du hast doch
angefangen.»
«Das ist doch
völlig daneben und damit ganz genau das, wo du hin wolltest.
Mit einem esoterischen Argument vernebelst du die Realität.
Mit Bob Greenbergs Argument, mein Gott nochmal. Ich will damit
jedoch nicht sagen, dass da draußen nicht noch eine ganze
Menge Bob Greenbergs sind, die denken werden, dass wir allesamt ein
bisschen abgedreht sein müssen, um dergleichen auf den Markt
zu bringen. Aber als er heute das ganze Konzept krank nannte, hatte
ich nur einen Gedanken: Mein Freund, du ahnst ja noch nicht einmal
die halbe Wahrheit.» Grace tat so, als hätte er das
nicht gesagt. Er schob die Kappe eines seiner Stifte zwei
Zentimeter nach rechts. «Worum geht es also? Das habe ich
mich gefragt, seit du mit der Idee gekommen bist. Um Katharsis? Um
Macht?» Sie tat so, als hätte er auch das nicht gesagt.
Sie schlug die in Jeans gehüllten Beine übereinander und
blickte an ihm vorbei auf die seitliche Wand. Eines von Dianes
ersten Gemälden hing dort: eine ruhige abstrakte Komposition
mit großen weißen Flächen. «Darf ich dich
etwas fragen?» Er gewährte ihr den Blick in seine Augen,
und die verrieten alles.
«Was passiert,
wenn du als Erstes den Tisch abwischst?» Zum ersten Mal an
diesem Tag war sein Lächeln aufrichtig.
«Armageddon.» Sie
erwiderte sein Lächeln, ein wenig boshaft nach seinem
Dafürhalten. Aber er merkte es zu spät, um sich zu
retten. Er hätte das mit der Katharsis nicht sagen sollen.
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