Spiel unter Freunden
Unbekannte
hatte winzige Hände mit rot lackierten Fingernägeln
gehabt. Die Hände auf diesem Foto jedoch waren groß und
sehnig, zweifellos die eines Mannes. Und die Füße
…die Füße waren riesig. Ebenso der
ausgeprägte Adamsapfel.
Gino warf einen Blick
auf Roadrunners Schuhe, Größe 46, und betrachtete dann
dessen Hals. «Himmel auch», flüsterte
er.
«Er ist es.» Magozzi
starrte noch immer wie gebannt auf das Bild. Seine Gedanken rasten,
sein Blutdruck stieg. Das verdammte Ding gehörte zu einem
Spiel. Er musste sich zusammenreißen, um dem folgen zu
können, was Grace MacBride erläuterte.
«… die
meisten Mordszenarien in dem Spiel sind ziemlich normal. Aber
Schauplatz und Vorgehensweise bei diesem Mord waren so einzigartig,
dass das Risiko einer zufälligen Übereinstimmung uns
…»
«Astronomisch
gering erschien», sagte Magozzi und drehte den Kopf, um sie
anzusehen.
«Ja.» Er
blickte zu der dicken Frau. «Sie sagten, es sei ein neues
Spiel.»
«Nagelneu. Es
ist noch nicht mal auf dem Markt.»
«Also befinden
sich die einzigen Personen, die das Foto gesehen haben, in diesem
Raum.» Harley schnaubte und wirbelte mit seinem Stuhl
herum.
«Meinen Sie
etwa, wir hätten Sie angerufen, wenn einer von uns der
Mörder wäre?«
«Vielleicht»,
entgegnete Magozzi emotionslos.
Grace MacBride ging
hinüber an Roadrunners Tisch und legte ihm die Hand auf die
Schulter. «Wie viele?», fragte sie tonlos.
Roadrunner sah auf.
«Fünfhundertsiebenundachtzig.» Er sah hinüber
zu Gino und dann auch zu Magozzi. «Wir haben das Spiel vor
über einer Woche zum Testen auf unserer lokalen Website ins
Netz gestellt. Bis heute Morgen hatten wir auf dieser Site
fünfhundertsiebenundachtzig Hits »
«Was?»,
explodierte Gino. «Der Mist ist im
Internet?!»
«Wir haben die
Site schon vom Netz genommen!», verteidigte sich Roadrunner.
«Gleich nachdem wir heute Morgen die Zeitung gelesen
hatten.»
«Was bedeutet,
dass außer uns nur fünfhundertsiebenundachtzig Personen
diese Fotos gesehen haben», warf Grace MacBride
ein.
«Nur?!»,
schnauzte Gino.
Grace nahm ihn ins
Visier. «Ich weiß gar nicht, worüber Sie sich so
aufregen. Vor ein paar Stunden hatten Sie noch eine unbegrenzte
Anzahl von Verdächtigen. Wir haben das für Sie eingeengt,
und zwar auf fünfhundertsiebenundachtzig.»
«Plus
fünf», sagte Magozzi anzüglich und ließ den
Blick von einem zum anderen schweifen, bis er an Grace MacBride
haften blieb. «Und wenn Sie nicht wissen, worüber sich
Detective Rolseth so aufregt, dann haben Sie ganz offensichtlich
nicht in Betracht gezogen, dass ein sehr junges Mädchen noch
leben könnte, wenn Sie dieses Spiel nicht ins Netz gestellt
hätten.» Er hielt einen Moment inne, um die Worte wirken
zu lassen, und merkte, dass seine Gedanken jäh ins Stocken
kamen, weil ihm auf einmal bewusst wurde, was Annie gesagt hatte.
«Moment mal. Sie sagten, dies sei das zweite Foto. Was
für eins war das erste?» Harley wandte sich wieder
seiner Tastatur zu und tippte los.
«Ich ruf es auf,
aber es ist bei weitem nicht so dramatisch wie Nummer zwei. Hier
ist es.» Wieder rollte er mit seinem Stuhl beiseite, damit
die Detectives bessere Sicht hatten. «Nummer eins. Nichts
Besonderes. Nur ein Jogger am Fluss.» Magozzi hörte, wie
Grace MacBride neben ihm den Atem anhielt, und fragte sich kurz,
weswegen sie das wohl tat, aber im selben Augenblick wurde er auch
schon von dem Foto auf Harleys Monitor abgelenkt.
Er und Gino
betrachteten es lange, ohne sich die geringste Gefühlsregung
anmerken zu lassen. Magozzi erinnerte sich an den gestrigen Morgen,
als er Rambachan gegenüber an der Leiche des Joggers gekniet
und zugesehen hatte, wie Finger in Latexhandschuhen den Mund des
Toten unter Schwierigkeiten geöffnet hatten. Er wusste noch,
wie er dann etwas gerochen hatte: eine Süßigkeit aus
Kinderzeiten. «Was stimmt da nicht mit seinem Mund?»,
fragte er jetzt.
Harley antwortete
selbstzufrieden. «Das ist ein Hinweis.
Und den braucht man
nur anzuklicken.» Er wollte nach der Maus greifen, aber
Magozzis Worte ließen ihn erstarren.
«Sagen Sie
bloß nicht, es ist ein Stück rote Lakritze.»
Harley drehte sich langsam um und sah ihn an. «Woher wissen
Sie das?», fragte er, aber bevor er die Worte ausgesprochen
hatte, hatte er schon begriffen. Sie alle wussten es, aber dem Typ
im Anzug kam es darauf an, dass es laut ausgesprochen
wurde.
«Es wurde ein
Jogger ermordet?», fragte er kleinlaut.
Gino sagte:
«Gestern
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