Spiel unter Freunden
Seitentür,
das einen Streifen verblassendes Lichts hereinließ. Ansonsten
herrschte beinahe absolute Dunkelheit.
Die Waffe zu ziehen,
bevor sie aus dem Wagen stieg, war für Grace schon so zur
Routine geworden, dass sie keinen Gedanken darauf verschwendete.
Während der fünf Jahre, die sie bereits in dem Haus
wohnte, hatte sie nicht ein einziges Mal die Garage verlassen, ohne
ihre Neun-Millimeter in der rechten Hand zu halten, an den
Körper gepresst aus Rücksicht auf Nachbarn, die wohl kaum
Verständnis für ihre Bewaffnung aufgebracht
hätten.
Sie gelangte an die
Seitentür, blickte zum schmalen Fenster hinaus auf ein
Stück Hof zwischen Garage und Haus, drückte dann sechs
Zahlen auf der kleinen Tastatur direkt neben der Tür und
hörte gleich darauf, wie sich der schwere Riegel mit einem
lauten Geräusch löste. Sie trat ein und blieb kurz
stehen, hielt den Atem an, lauschte und sah sich um. Alle ihre
Sinne waren darauf gerichtet, Ungewöhnliches zu entdecken. Sie
hörte, wie ein vorbeifahrendes Auto trockene Blätter auf
der Straße aufwirbelte; den wummernden Bass einer
Stereoanlage irgendwo weiter unten an der Straße; das leise
Zwitschern der Spatzen, die sich langsam zur Nachtruhe begaben.
Nichts Ungewöhnliches. Kein falscher Ton.
Als sie
schließlich beruhigt war, zog sie die kleine Tür hinter
sich zu und hörte den leisen Piepton, mit dem die Alarmanlage
anzeigte, dass sie aktiviert war. Neunzehn schnelle Schritte auf
einem schmalen Betonpfad, der von der Garage zur Eingangstür
führte, die Augen überall, die Handfläche feucht auf
dem geriffelten Griff der Neun-Millimeter, und dann war sie
angelangt, schob die rote Karte in den Schlitz, öffnete die
schwere Vordertür, trat ein und schloss die Tür hastig
hinter sich. Sie hatte die Luft angehalten und atmete endlich aus,
als Charlie ihr entgegenkam, den Bauch auf dem Boden, den Kopf
unterwürfig gesenkt. Mit dem Stummel, den er gewiss noch als
Schwanz in Erinnerung hatte, versuchte er wedelnd den Boden zu
wischen.
«Mein
Alter.» Sie lächelte und schob die Waffe ins Halfter,
bevor sie sich hinkniete, um das drahthaarige Wunderwesen in die
Arme zu nehmen. «Tut mir Leid, dass ich so spät
bin.» Zur Strafe leckte er ihr hemmungslos das Gesicht und
raste anschließend den kurzen Flur hinunter zur Küche.
Dann hörte man kurz, wie seine Krallen auf dem Linoleum nach
Halt suchten, und gleich darauf kehrte Charlie in gestrecktem
Galopp zurück, die Leine im Maul.
«Tut mir Leid,
Kumpel. Wir haben nicht genug Zeit.» Charlie sah sie an,
öffnete langsam das Maul und ließ die Leine zu Boden
fallen.
«Es wird auch
bald dunkel», erklärte sie ihm.
Der Hund reagierte mit
der deprimiertesten Miene, die er aufzusetzen vermochte.
Zischend sog Grace
zwischen den Zähnen Luft ein. «Keine Spaziergänge
im Dunkeln. Unsere Abmachung, das weißt du doch.» Der
abgenagte Schwanzstummel bewegte sich schnell hin und
her.
«Nee, nee. Kann
ich nicht machen. Sorry. Tut mir wirklich Leid.» Er bettelte
niemals. Er winselte niemals. Er blickte niemals fragend, denn all
das hatte man Charlie mit Schlägen ausgetrieben, bevor er zu
ihr gekommen war. Er ließ sich jetzt einfach auf dem
Orientläufer zusammensacken und legte den Kopf auf die
Vorderpfoten, wobei er mit der Schnauze die scheinbar nutzlose
Leine anstupste. Grace ertrug es nicht mehr.
«Du bist ein
durchtriebenes Schlitzohr.» Der Stummelschwanz bewegte sich,
fast unmerklich. «Wir müssten aber den ganzen Weg nach
da unten rennen.» Schon hatte sich der Hund
aufgesetzt.
«Und wir
können auch nicht lange unterwegs sein.» Charlie
öffnete das Maul zu einem ans Herz gehenden Lächeln, und
seine Zunge fiel heraus.
Grace beugte sich vor,
um die Leine an seinem schweren Halsband zu befestigen, und
spürte dabei das erwartungsvolle Zittern des Hundes unter
ihren Fingerspitzen. Aber mehr als das: Es bewegten sich auch die
selten benutzten Gesichtsmuskeln, die ihre Mundwinkel nach oben
zogen. «Wir bringen einander zum Lächeln, stimmt's,
Junge?» Ein wahres Wunder. Für sie beide.
Die kurze Strecke zum
kleinen Park legten sie im Laufschritt zurück, wobei die
Schöße von Graces Staubmantel im selben Rhythmus
flatterten wie Charlies Ohren. Ihre Stiefelabsätze klapperten
auf den Betonplatten des Gehsteigs.
Der letzte schwache
Schein der untergehenden Sonne flackerte zwischen den dicht
aneinander stehenden Häusern, und das stotternde Flimmern wie
bei einem alten Stummfilm irritierte Graces
Weitere Kostenlose Bücher