Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
müssen Tausende sein. Sie halten genügend Abstand, so dass sich schnellere Fahrzeuge wie bei einer Slalomstrecke über alle Spuren wechselnd zwischen ihnen durchschlängeln können. Als die Autobahn über eine Kuppe führt, sehe ich, dass sich die unheimliche Karawane von Horizont bis Horizont erstreckt. Sie schafft die Kohle zu den Kraftwerken im »Schwarzen Gürtel« und darüber hinaus. Wir halten auf dem Standstreifen, um zu filmen und zu staunen. Auf beiden Seiten der Autobahn rauchen die Schlote der Kraftwerke und Hochöfen. Die Seidenstraße ist zum Highway des Rußes verkommen.
Wolfgang Jussen schaut auf das unwirkliche Bild mit den kalkulierenden Augen des Ingenieurs. China erzeugt 70 Prozent seiner Energie aus Kohle – diesem besonders klimaschädlichen Brennstoff. »Wenn Sie zusammenrechnen, wie viel Energie es kostet, die Kohle zu fördern, zu reinigen, mit Diesel-Lkws über ewig lange Strecken zu transportieren und schließlich in einem Kraftwerk zu verbrennen, das einen geringen Teil der Energie in Strom verwandelt, dann frage ich mich, ob das ganze Unternehmen unter dem Strich überhaupt noch eine positive Energiebilanz hat. Aber es ist Chinas einzige Chance, in großem Stil Strom zu erzeugen – bisher.«
Eine knappe Stunde später biegen wir von der Autobahn ab und folgen einer Straße, die uns in kürzester Zeit auf einen Pass bringt. Von dort aus blicken wir über ein endlos weites Feld, getupft mit Pferden, Schafen, Hirten – und Windmühlen. Es sollen fast 1000 sein, sagt Jussen. Einige davon sind mit Turbinen und Rotoren aus Know-how von RE power bestückt, Jussens Firma.
In 80 Meter Höhe, angeschnallt an einer Sicherheitsstange auf dem Dach des Turbinengehäuses, berichtet mir der Ingenieur aus Deutschland von seinen Erfahrungen mit den chinesischen Partnern. Es begann mit einem Lizenzvertrag. Chinesen bauten Windturbinen nach deutschen Bauzeichnungen und bezahlten dafür eine Gebühr. Das wurde für die Chinesen so erfolgreich, dass sie die deutschen Lizenzgeber aufkauften. Inzwischen – viel schneller, als Deutschland sich das hatte träumen lassen – treten Chinas Windturbinenbauer auf den Weltmärkten als Konkurrenten gegen ihre deutschen »Geburtshelfer« an – und gewinnen: China hat mittlerweile die bei Weitem größte »Aufstellungsleistung« der Welt. Und Deutschland denkt, dass es den Weltmarkt für grüne Technologie noch lange Zeit beherrschen wird.
»Noch sind wir technologisch vorne«, sagt Wolfgang Jussen tapfer, während die Sonne in spektakulären Farben untergeht. »Unsere Turbinen sind zuverlässiger, die Steuerung ist besser, sie halten länger. Aber wenn es darum geht, mit einem begrenzten Geldbetrag möglichst schnell möglichst viel Leistung aufzustellen, dann sind uns unsere ehemaligen Töchter inzwischen voraus und gewinnen in Australien, Südamerika und natürlich in China Ausschreibungen gegen uns.« Jussen hatte gedacht, dass der deutsche Vorsprung zehn Jahre reichen würde. Es wurden drei.
Da denke ich zurück an das Abendessen, das er am Abend vorher für uns arrangiert hatte. Neben mir hatte ein junger chinesischer Ingenieur mit seiner Frau gesessen. Das Gespräch war streckenweise ein wenig mühsam, weil kein Dolmetscher zur Hand war und die Englischkenntnisse der beiden für eine flüssige Unterhaltung nicht reichten. Mir war es peinlich, dass ich nicht einmal ein paar Worte Mandarin spreche. Der sympathische Ingenieur wirkte auf mich ein bisschen unerfahren. Da lag ich gründlich daneben.
Am nächsten Morgen, zurück in Baotou, empfing mich genau dieser jugendliche Ingenieur in den Fertigungshallen der Firma Goldwind . Chang Lie war hier, nach seiner Ausbildung an der Universität Baotou, schon mit 27 Jahren Chef der Produktion geworden. Seitdem hat er den Ausstoß der Fabrik in weniger als zwei Jahren verdoppelt. Ich hatte mich getäuscht, sehr sogar! Aber wenigstens bin ich weder der Einzige noch der Erste, dem dieser Fehler in China passiert ist.
Was ich hier sah, wirkte auf mich beeindruckend: saubere, ruhige Hallen, in denen über hundert Arbeiter mit offenkundiger Präzision riesige Turbinen in Serie montierten. Auf manche kritische Bereiche durften wir die Kamera nicht richten, unter anderem die Montage von jeweils 4000 Magneten mit dem Seltene-Erden-Element Neodym. Wolfgang Jussen, der uns den Kontakt zu Goldwind verschafft hatte, durfte dahin nicht mitkommen. Er hätte in der Produktion vielleicht Dinge erkannt, die ihm seine ehemaligen
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