Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
begann, sei vorbei. Seinen letzten Abschnitt – das »neuzeitliche Klima-Optimum« der letzten hundertfünfzig Jahre – haben wir dafür genutzt, unseren Planeten mit Feuer und Maschinen umzubauen.
Der Niederländer Paul Crutzen, Nobelpreisträger der Chemie, sprach als Erster vom »Anthropozän«, einem von Menschen gemachten Erdzeitalter. Immer mehr Geologen und Stratigrafen finden Belege für seine These. Kongresse und Veröffentlichungen widmen sich dem Streit. 1 Ein Ausschuss der International Commission on Stratigraphy ( ICS ) 2 prüft nun, wann diese neue Epoche denn genau begonnen haben kann – mit der Industrialisierung? Und ob die Hinterlassenschaften unserer Zeit – abgebrannte Regenwälder, ausgeblutete Ackerböden, versandete Stauseen, ausgebleichte Korallenriffe – so erheblich sind, dass sie auch in Jahrmillionen noch im Erdboden erkannt werden. So was verlangen Stratigrafen, bevor sie bereit sind, ein neues Erdzeitalter anzuerkennen.
Mögen sie weiter um Begrifflichkeiten streiten, tatsächlich geht es um Handgreiflicheres als um wissenschaftliche Nomenklatur. So gewaltige Umbrüche haben die Welt noch jedes Mal in Sieger und Verlierer geteilt. Große Industrien und Mächte haben längst begonnen, sich darauf einzustellen. Was heißt das für unsere dicht vernetzten, hoch gezüchteten und gerüsteten Industriegesellschaften? Wo wird der Klimawandel Konflikte eskalieren? Wo wird er den nötigen Druck für eine friedliche Lösung lange vernachlässigter Krisen liefern? Welche Rolle kann Deutschland, kann Europa, da spielen? Es soll sich keiner einbilden, dass uns das Geschehen gleichgültig sein kann, bloß weil uns auf unserem wohltemperierten, geologisch ruhigen europäischen Kontinent die Probleme noch fern erscheinen. Was da geschieht, presst die Dynamik einer Erdepoche in zwei-, dreihundert Jahre. Das ist das Werk der Moderne – eine Revolution, die ihre Schöpfer fressen kann, wenn sie Menschen und Staaten überfordert.
»Wir handeln ohnehin wie Götter«, schrieb Stewart Brand, einer der verlachten Visionäre von 1968, in seinem legendären »Whole Earth Catalog«. 3 »Wir sollten versuchen, wenigstens gut darin zu werden.« Wahrscheinlich bleibt uns kaum etwas anderes übrig. Es wird schwer, eine Weltbevölkerung, die nach Einschätzung der Vereinten Nationen bis Ende des 21. Jahrhunderts auf zehn Milliarden anwachsen wird, bei ständig steigenden Ansprüchen ohne massive weitere Eingriffe in die Natur auch nur zu ernähren und zu kleiden. Es wird auf das Wie ankommen.
Nach Gesprächen in Berliner Ministerien, im Pentagon in Washington, bei den Vereinten Nationen, im Austausch mit Thinktanks in China, Indien und Peru weiß ich, dass Militärs, politische Strategen, Städteplaner und Rohstoffexperten die rasanten Veränderungen des Planeten längst in ihr Kalkül einbeziehen. Auch wenn sie oft nur ungern darüber reden: Wir wollten erfahren, was da läuft.
Wir fragten an in Asien, Russland, Südamerika und Afrika. Selbst wenn wir nicht mit der Tür ins Haus fielen und von einer Bedrohung für den Weltfrieden redeten, waren viele nicht gerade wild darauf, uns für solch ein Projekt Rede und Antwort zu stehen. Dabei ist der Themenkomplex »Klimawandel und nationale Sicherheit« schon längst keine exotisch-akademische Angelegenheit mehr. Da geht es um akute Gefahren.
Wir trafen auf unseren Reisen Menschen, die sich unserer Arbeit in den Weg stellten, und solche, die aus Furcht vor Repressalien nicht mit uns sprechen wollten. Aber eben auch andere: Bauern in Äthiopien, chinesische Klimaforscher in Shanghai, Indianer in den Slums von Lima in Peru, den US -Generalstabschef und den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ihnen waren wir willkommen, weil wir Bewusstsein wecken wollen für ein Thema, das ihnen den Schlaf raubt.
Aus unseren Recherchen entstand zunächst eine große ZDF -Dokumentation und dann – den Bogen naturgemäß viel weiter spannend – dieses Buch. Es entstand auf einer Reise, die mich manches Mal zurückführte zu den Gefühlen des Dreizehnjährigen angesichts der leuchtend blauen Kugel im Weltall. Wenn wir den Begriff »Anthropozän« ernst nehmen, dann bedeutet er Verantwortung für unseren Planeten. Russell Schweickart, einer der NASA -Astronauten, deren Kollege ich als kleiner Junge werden wollte, hat seine Gefühle nach der Rückkehr vom Mond so eindringlich zusammengefasst, wie es wohl nur in großer Entfernung gelingt:
»Die Erde wird so klein und
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