Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
zögert einen Augenblick. Er hat die Überraschung auf unseren Gesichtern gesehen. Er kehrt zum aktuellen Geschehen zurück. »Das Eis der Arktis schmilzt jedenfalls noch schneller, als wir es prognostiziert haben. Das ist für sich genommen nicht schlimm, weil ein Großteil dieses Eises ohnehin schon im Wasser schwimmt – schmelzendes Meereis erhöht den Meeresspiegel nicht. Aber die Erwärmung zerstört auch den Eisschild von Grönland, und das ist bedrohlich – das Schmelzwasser fließt immer schneller vom Festland ins Meer und hebt den Wasserspiegel. Der Klimawandel ist Realität. Eine Küstenstadt wie Shanghai muss sich dem stellen. Deshalb appellieren wir an alle. Jeder Chinese muss dazu beitragen, den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren. Da tragen wir eine große Verantwortung, gerade weil wir so viele sind.«
Ich bin überrascht von dieser Offenheit. Solche Sätze hätte ich auf einer Klimakonferenz in Europa erwartet, aber nicht in einem staatlichen chinesischen Institut, mitten in der wohl wichtigsten Wirtschaftsregion des Landes. Aber der Glaube an Wachstum ist auch in China nicht alles. Die Traumata der großen Hungersnöte der chinesischen Geschichte – die letzte und furchtbarste 1959 bis 1961, mit 30 Millionen Toten in Maos Kampagne vom »Großen Sprung« – haben sich unauslöschlich in die kollektive Erinnerung gebrannt. Der Klimawandel beginnt, die Versorgung zu gefährden. »Wir haben jedes Jahr mehr Naturkatastrophen – Dürren und Überflutungen. Mehr als jemals zuvor in unserer Geschichte«, sagt Professor Yang. »Es gibt einen Zusammenhang mit dem, was an den Polen geschieht. Wir haben Studien, die beweisen, dass die arktischen Strömungen das Wetter in unserem Binnenland beeinflussen. Nach unserer Einschätzung gab es zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen dem trockenen, kalten Frühjahr 2008 in Südchina und dem extremen Rückgang der arktischen Eisdecke im Sommer des Vorjahres. Wir sehen massive Effekte in Xinjiang – im Nordwesten von China – und auf dem tibetischen Plateau. Dort schmilzt der Permafrost, und die Gletscher gehen zurück. Wir müssen aufpassen.«
Wir verlassen das Institut von Professor Yang mit völlig unerwarteten Eindrücken. Wenige Monate nach unserem Besuch erklärt Ministerpräsident Wen Jiabao vor dem Volkskongress in Beijing, dass Klimaschutz ein Staatsziel werden müsse. Die Delegierten verordnen dem Land eine Verminderung der CO 2 -Emissionen um 17 Prozent. »Noch vor wenigen Jahren wäre ein solches Konzept undenkbar gewesen«, sagt der Deutsche Dirk Messner vom Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen. »Mittlerweile hat die chinesische Regierung ihre eigenen Forscher die Klimarisiken analysieren lassen und festgestellt, dass China vom Klimawandel stark betroffen wäre. Seither verändert sich die Strategie.« Ich bin schon längst wieder in Deutschland, als ich diese Berichte lese. Ich bin mir sicher, dass die leise, feste Stimme unseres Gastgebers in Shanghai mit zu dem Chor gehörte, der das erreichte.
Es sind neue Töne, aber die Realität sieht immer noch anders aus. Ich habe den Konflikt zwischen Mao und Dao, den Kampf des »Großen Vorsitzenden« gegen die Gesetze der Natur und der alten chinesischen Weisheit vom Einklang mit ihr, in der Inneren Mongolei erlebt.
Von Ruß und weißen Wolken
Wenn jemand wie ich versucht, sich ein Bild von der Welt zu machen, indem er immer wieder einmal in eine ferne Region fliegt, für die er nur ein paar Tage Zeit hat, weil zu Hause im Wochenrhythmus andere Aufgaben warten, dann muss wenigstens die Vorbereitung stimmen. Es ist ja nicht mehr schwierig, sich schnell aus den Blogs und Pressearchiven der Welt gute Artikel und Videos heranzuholen. So sind echte Überraschungen selten geworden – das ist ein Glück und gleichzeitig schade. Die chinesische Stadt Baotou in der Kohle-, Stahl- und Industrieregion der Autonomen Region Innere Mongolei war für mich so eine Überraschung. Ich glaubte zu wissen, was mich erwartet. Diese Region war der Schwerpunkt, als China von 2003 bis 2008 jede Woche durchschnittlich zwei neue 600-Megawatt-Kraftwerke fertigstellte 157 , die mit heimischer Kohle befeuert werden – ein jährlicher Zuwachs, der größer ist als die Leistung aller britischen Kohlekraftwerke nach 200 Jahren Industrialisierung. Die Innere Mongolei bildet zusammen mit den Provinzen Shanxi und Shaanxi den berüchtigten »Schwarzen Gürtel« von Schwerindustrie. Hier wirbelt der Wind den
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