Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
Menge von Reisenden aus China. Die sind sichtbar stolz auf ihre »Wall Street des Ostens«, Chinas Schaufenster zur Welt. Manche der Spaziergänger wirken wie Bauern aus einem der Fischerdörfer weiter oben am Fluss, aber die meisten sind westlich gekleidete junge Leute, die alle paar Sekunden für Handy-Fotos posieren. Ich habe bisher nur in New York so viel Zuversicht und Stolz, so viel jungen, kosmopolitischen Schwung gespürt wie hier. Die besondere Atmosphäre von Metropolen an großen Wassern prägt ihre Menschen. Es muss etwas damit zu tun haben, dass über dem Meer immer die Verlockung der Ferne liegt. Und in ihm die gewaltige Kraft der Natur, die Menschenwerk jederzeit wieder verschlingen kann.
Heutzutage genießen Holländer den Ruf, Weltmeister zu sein in der Kunst, dem Meer Land abzuringen. In China soll vor rund 4000 Jahren der sagenhafte Kaiser Yu, der Legende nach Gründer der ersten Dynastie, den Beinamen »Ingenieur« bekommen haben, weil er sein Volk lehrte, nicht nur auf Deiche zu setzen, die in Sturmfluten brechen konnten. Er ließ das tief liegende Gebiet mit Kanälen durchziehen und ausschließlich für Felder und Äcker nutzen. Die durfte das Meer notfalls überschwemmen – vorübergehend.
Der Name der Shanghaier Uferpromenade kommt vom anglo-indischen bunding für die Befestigungen, mit denen der schlammige Uferstreifen im 19. Jahrhundert stabilisiert wurde. Heute trägt er eine der aufregendsten Skylines der Welt – Milliardenwerte, die bald mehr Schutz brauchen als je zuvor. Es wird Zeit für ein neues Konzept.
Ich war überrascht, als ich erfuhr, dass wir den Chef der chinesischen Polarforschung ausgerechnet im subtropischen Shanghai treffen würden. Die Erklärung dafür werden wir bekommen. Der Stolz der Polarforscher aus dem Reich der Mitte liegt an einer separaten Pier des Hafens von Shanghai: der »Schneedrache«, »Xue Long«, ein beeindruckender Eisbrecher, rot und weiß gestrichen, mit 167 Metern fast 50 Meter länger als die »Polarstern« des deutschen Alfred-Wegener-Instituts. Nun sagt die Größe eines Schiffs wenig über seine Leistungsfähigkeit als Forschungsplattform aus, aber einen solchen Riesen schickt man nicht ins Eis, wenn man es nicht ernst meint. Rund um das mächtige Schiff herrscht eine fast schläfrige Atmosphäre. Wir hören das Kreischen der Seevögel und den Schlag der Wellen an den Rumpf – eine sehr untypische Stimmung im hektischen Shanghai.
Der »Schneedrache« scheint die Ruhe zu genießen, er ist gerade zurückgekehrt von einer monatelangen Arktisexpedition. Die Mannschaft ist glücklich bei ihren Familien. Kapitän Shen Qang und Dr. He, einer der leitenden Forscher an Bord, kommen unseretwegen in den Hafen. Stolz zeigen sie uns ihr Schiff, das Chinas Eintrittskarte war in den exklusiven Club der polarforschenden Nationen. »Wir verstehen uns gut mit den Deutschen«, erzählt Dr. He. »Einige unserer jungen Wissenschaftler haben auf der ›Polarstern‹ gelernt – ein sehr schönes Schiff.« Die meisten Forschungsfahrten der »Xue Long«, so erfahren wir, führten nach Süden, in die Antarktis. Dort hat China mit drei Stationen eine große Präsenz aufgebaut. Für diese Richtung ist Shanghai ein natürlicher Ausgangspunkt. Ein Schiff allein reicht nicht mehr für die vielen Versorgungsfahrten. China investiert gerade den Gegenwert von 200 Millionen US -Dollar in einen zweiten, technisch wesentlich weiterentwickelten Forschungs-Eisbrecher. 2014 soll er zu seiner ersten Expedition aufbrechen.
China verfolgt im Eis noch größere Pläne. Die werden den »Schneedrachen« und sein neues Schwesterschiff in Zukunft öfter nach Norden führen, in die Arktis, wo Polarforschung eine Dimension gewinnt, die am Südpol verschlossen ist. Seit dem Antarktis-Vertrag von 1961 bildet der eisige Kontinent im Süden ein einzigartiges Schutzgebiet. Damals haben sich, mitten im Kalten Krieg, Staaten über alle Grenzen von Ideologien und Interessen hinweg darauf verständigt, diesen so besonderen Teil der Erde friedlich zu nutzen, gemeinsam zu erforschen und mögliche Gebietsansprüche zurückzustellen. Seitdem sind südlich des 60. Breitengrades alle militärischen Aktivitäten verboten, seit 1991 gilt dies auch für den Abbau von Rohstoffen. 156 Umso verlockender erscheinen jetzt die Schätze des Nordens, denen der Klimawandel den schützenden Eisschild raubt. »Gerade sprach ich mit dem Professor darüber, wie schnell sich die Lage dort oben verändert«, erzählt
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