Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
ein schwerer russischer Transporthubschrauber, der schon aus der Ferne einen etwas ramponierten Eindruck macht. Der Anblick bereitet uns mulmige Gefühle, denn dieses Gerät – das letzte flugfähige seiner Art auf Spitzbergen – haben wir gechartert, um in drei Tagen zu einer abgelegenen, halb vergessenen russischen Bergbausiedlung zu kommen, dem Stützpunkt Moskaus im Westen der Arktis.
Erst einmal steht Ny Ålesund auf dem Drehplan. Wir zerren unsere 20 Kisten Ausrüstung vom Band und rollen sie in einer Karawane von Gepäckwagen den Hang hinunter zu einer großen Hütte aus Wellblech, dem Hangar der örtlichen Lufttransportfirma. Dort wartet eine zweimotorige Propellermaschine, für den letzten Teil unserer Reise ins Dorf der Arktisforscher.
Professor Heinrich Miller, den wir begleiten, beobachtet das Treiben »seines« Fernsehteams mit Amüsement. Er ist Leiter der Abteilung Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und, so hat man uns berichtet, die graue Eminenz der deutschen Arktisforschung. Er hat längst aufgehört zu zählen, wie oft ihn seine Expeditionen in die Arktis und die Antarktis geführt haben, aber seine Augen leuchten vor Freude darüber, wieder in der Kälte zu sein. Das offizielle Foto auf der Website seines Instituts zeigt ihn in ähnlich glücklicher Stimmung, im roten Anorak, irgendwo draußen im Eis, der dichte Schnurrbart über dem breiten Lachen weiß gefroren. Man könnte sich keinen besseren Führer für die Welt hier oben wünschen.
Genau an der Tür des Hangars beginnt für mich der wilde Norden. Ich habe jedenfalls noch nie ein Flugzeug in einer Garage beladen, gemeinsam mit der Besatzung, das Gepäck Stück für Stück sorgfältig gewogen und austariert, damit der Trimm der Maschine gleichmäßig bleibt. Dann schieben Helfer die großen Hangartore auseinander, und ein Traktor zieht uns hinaus auf die Startbahn. Ich liebe solche Flugzeuge, die in niedriger Höhe brummend durch den Himmel ziehen – mit direktem Kontakt zum Cockpit und einem weiten Blick durch große Scheiben. Schroff ragen knapp unter uns steile Bergzüge aus einer endlosen weißen Fläche. Wir sind angekommen im Bannkreis der Arktis, in der Klimaküche für die Nordhalbkugel der Erde.
Es ist Ende September, die Polarnacht rückt jeden Tag mit großen Schritten näher. Wir schaffen es gerade noch vor der Dunkelheit. Der Pilot steuert die Maschine im Sinkflug zwischen zwei Gipfeln hindurch und dreht vor der Landung eine große Kurve über der Siedlung. Im letzten Abendlicht blicken wir auf eine traumhafte Landschaft. Den Horizont begrenzen weiße Bergketten, aus denen sich Gletscher in das tiefdunkelblaue Wasser des Fjords schieben. Unter uns erkennen wir die enorme Schüssel eines Radioteleskops, am Kai des kleinen Hafens einen herrlichen alten Zweimaster, davor bunte Holzhäuser – zusammengewürfelt mitten in braunschwarzem Geröll. Da rattern schon die Räder der Maschine auf der kurzen Schotterpiste.
Vom ersten Augenblick an wird uns klar, dass wir nicht in einem x-beliebigen Dorf angekommen sind. Ny Ålesund ist der Außenposten einer global vernetzten Forschergemeinde am Rand der schmelzenden Eiskappe. Der rasante Wandel des Klimas hat diesen kalten Hain von Academia an die vorderste Front einer entscheidenden Zukunftswissenschaft gebracht. Nach einem internationalen Vertrag, der 1920 die strittigen Gebietsansprüche um Spitzbergen klärte, darf hier jede Vertragspartei – zurzeit sind es 39 Nationen – eine Forschungsstation betreiben. Daraus ist ein hierarchiefreies Welt-Dorf entstanden. Ein junger unkomplizierter Franzose, der uns freundlich in Empfang nimmt, hat derzeit die Rolle eines Sprechers der Forschergemeinde. Viel Ärger hat er damit nicht. Alle »harten« Entscheidungen trifft der Vertreter der Logistikfirma Kings Bay AS , ein norwegischer Staatsbetrieb, der für Nachschub und Ordnung zuständig ist. Es gilt eine simple, aber unverhandelbare Gemeindeordnung. Dazu gehört, dass sämtliche Haustüren unverschlossen bleiben müssen, damit sich jeder überall vor herumstreunenden Eisbären in Sicherheit bringen kann. Und dass wir keinen der Gemeinschaftsräume mit einer Kamera betreten dürfen. Das ist verständlich, in dieser engen, auf viele Monate festgelegten Gemeinschaft sind die Reste von Privatsphäre besonders wertvoll. Aber leider ist damit die Kantine, in der sich die meist jungen Forscherinnen und Forscher aus aller Herren Ländern
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