Spielball Erde: Machtkämpfe im Klimawandel (German Edition)
kennen. Sie nähern sich den Phänomenen der Klimaänderung von allen Seiten. Sie messen mit Laserstrahlen die Dichte von Schmutzpartikeln in mehreren Kilometer Höhe unter dem arktischen Nachthimmel. Wetterballons registrieren die veränderten Strömungen. Glaziologen halten mit GPS -Sonden die Bewegungen und das schwindende Volumen der Gletscher fest. Überall hören wir dieselbe Botschaft: »Die Klimaerwärmung ist eine Tatsache, sie nimmt immer mehr Fahrt auf, und wir haben keine Ahnung, wie das enden soll.«
Das ist auch die klare Botschaft aus der neuesten unter den Forschungsstationen in Ny Ålesund: der Yellow River Station der Volksrepublik China, eröffnet 2004. Zwei mächtige steinerne Löwen bewachen den Eingang des massiven zweistöckigen Gebäudes. Eine beeindruckende Präsenz für ein Land, das im Verdacht steht, den Klimawandel nicht ernst zu nehmen. Wir haben uns bei der Zentrale in Beijing angemeldet, sind willkommen und dürfen uns überall umsehen. Die jungen Forscher sind sichtlich stolz auf ihre Ausrüstung und ihre Experimente. Sie suchen vor allem nach der Antwort auf die Frage, weshalb die Gletscher so schnell schrumpfen. Hier oben – und in ihrer Heimat. Dr. Fang Lijun, die Leiterin der Station, und einer ihrer Abteilungsleiter nehmen mich mit zu einem Spaziergang an den Sund. Dankenswerterweise auf Englisch sprechen sie mit mir über ihre Motive dafür, sich für diese Arbeit fern der Heimat und unter schwierigen Bedingungen entschieden zu haben. Sie wollen ihrem Land helfen. »China erlebt jedes Jahr immer schlimmere Dürren. Das Klima über dem tibetischen Hochland verändert sich enorm. Wir glauben, dass das sehr viel mit dem zu tun hat, was hier oben geschieht. Davon kann die Ernährung unseres Volkes abhängen.« Sie wollen sich nicht länger nur auf die Forscher des Westens verlassen. China ist dabei, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dafür stehen die steinernen Löwen in Ny Ålesund.
Es wird Zeit, unser Urteil über die Großmacht der Zukunft in dieser Beziehung zu korrigieren. Für mich beginnt das mit einer Reise in die Stadt, aus der die steinernen Löwen stammen.
Wo sind die Klimaleugner?
»Wenn Sie irgendwo in der Welt jemanden treffen, der behauptet, dass er China kenne, dann fragen Sie ihn, wann er zuletzt dort war. Wenn es mehr als drei Monate her ist, dann brauchen Sie sich mit ihm nicht länger zu unterhalten«, hatte mir ein alter Chinese vor vielen Jahren in San Francisco einmal gesagt.
An den Rat des alten Herrn aus der Chinatown muss ich beim Landeanflug auf Shanghai denken. Wahrscheinlich würde er mir heute raten, das Limit auf drei Wochen herunterzusetzen. China hat seine Entwicklung immer weiter beschleunigt. Ich war bisher nur ein einziges Mal in Chinas dynamischster Stadt, 1998 im Pressetross von Präsident Clinton. Der Shanghai Pudong International Airport war damals noch eine Baustelle, inzwischen gehört er zu den 20 größten Flughäfen der Welt und ist schon wieder zu klein. Die Arbeiten für eine weitere Verdoppelung der Kapazität haben begonnen.
Mir wird kaum Zeit bleiben, die Stadt anzuschauen. Wir wollen 100 Kilometer nordwestlich von Shanghai in einer der großen chinesischen Fabriken für Solarmodule drehen, die mittlerweile den Weltmarkt beherrschen. Davon erwarte ich mir nicht viel Schönes (ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte), aber ich bin glücklich, dass mich unsere erste Verabredung zunächst ins Zentrum von Shanghai, an eine der magischen Adressen der Welt, führen wird: auf The Bund , die Prachtmeile von Shanghai am Ufer des Huangpu-Flusses. Die herrlichen Kolonialbauten aus der Zeit der britischen Zollhoheit über den größten Hafen der Welt haben mich schon 13 Jahre vorher bei meinem ersten Besuch begeistert. Sie sind immer noch da, aber inzwischen stehen sie zwischen spektakulären Neubauten internationaler Star-Architekten. Der elegant geschwungene Fernsehturm Shanghai Pearl Tower, den ich als alles überragendes Monument der Moderne in Erinnerung hatte, wird längst vom 492 Meter hohen massiven Wolkenkratzer Shanghai World Financial Center dominiert. Auch dieser Bau wird seinen Rang bald an den noch einmal 140 Meter höheren Shanghai Tower verlieren, der rasend schnell in den Himmel wächst.
Es ist ein milder, sonniger Tag – perfekt, um die prächtige Kulisse entlang der weiten Uferpromenade zu genießen. Wir begegnen einigen »Langnasen«, Touristen aus Europa und den USA , aber sie verlieren sich in der
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