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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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werden. Fortan würde ich Gutes tun, helfen, wo immer ich konnte, und niemals etwas Falsches tun. Ich begann mich als Christ zu bezeichnen. Ich war neun Jahre alt, und in meinem Umfeld gab es niemanden, der sich Christ nannte, weder Mutter noch Vater oder die Eltern anderer Kinder – abge sehen von Øivind Sundts Vater, der ihn aus diesem Grund von Kino, Fernsehen, Cola und Süßigkeiten fernhielt – und selbstverständlich keines der anderen Kinder, so dass es ein ziemlich solitäres Unterfangen war, was ich Ende der siebziger Jahre in Tybakken in Angriff nahm. Wenn ich aufwachte und wenn ich ins Bett ging, betete ich zu Gott. Wenn die anderen sich im Herbst trafen, um in Gamle Tybakken Äpfel klauen zu gehen, bat ich sie, es lieber nicht zu tun, denn es war falsch, etwas zu stehlen. Ich sagte es nie allen gleichzeitig, das traute ich mich nicht. Ich war mir des Unterschieds zwischen den Reaktionen einer Gruppe, in der man sich gegenseitig in die eine oder andere Richtung hochschaukelte, und den Reaktionen Einzelner, bei denen jeder für sich gezwungen war, meinen Worten von Angesicht zu Angesicht, ohne ein distanzschaffendes Kollektiv zu begegnen, hinter dem man sich verstecken konnte, sehr wohl bewusst, weshalb es das war, was ich tat, ich ging zu denen unter ihnen, die ich am besten kannte, also zu meinen Gleichaltrigen, und sagte je dem von ihnen unter vier Augen, dass es falsch sei, Äpfel zu stehlen, überlege es dir noch einmal, du musst das nicht tun. Allein bleiben wollte ich andererseits aber auch nicht, so dass ich sie trotzdem begleitete, am Zaun stehen blieb und sie in der Dämmerung über die alten Obstwiesen schleichen sah und neben ihnen ging, wenn sie auf dem Rückweg in die Äpfel bissen und ihre Jacken von den Früchten ausbeulten, aber wenn einer von ihnen mir einen Apfel anbot, lehnte ich stets dankend ab, denn der Hehler war nicht besser als der Dieb.
    Als ich bei einem Osterbesuch bei meinen Großeltern in Sørbøvåg einen neuen Spielkameraden fand, bat ich ihn inständig, nie mehr zu fluchen. Ich erinnere mich noch, welche Angst ich davor hatte, dass er gegen meine Anweisungen verstoßen könnte, als er mich eines Nachmittags ins Haus be gleitete und Großmutter und Großvater grüßte, und wie oft ich ihn bat, mir zu schwören, nie wieder zu fluchen. Dass er mir danach aus dem Weg ging, ertrug ich, indem ich dachte, dass ich das Gute und Richtige getan hatte. Im Bus bot ich älteren Menschen meinen Sitzplatz an, fragte sie, ob ich ihnen beim Tragen helfen solle, wenn sie aus dem Supermarkt kamen, hängte mich nie heimlich an die hintere Stoßstange der anfahrenden Autos, schlug nie etwas kaputt, versuchte nie, Vögel mit einer Steinschleuder zu töten, sah mich beim Gehen vor, damit ich nicht auf Ameisen oder Käfer trat, und selbst wenn ich im Frühling mit Geir oder einem anderen Blumen pflückte, um sie Mutter oder Vater zu schenken, durchzuckte mich der Gedanke an das Leben, das ich ihnen dadurch nahm.
    Als es im Winter schneite, wollte ich den alten Leuten beim Schneeräumen helfen. An einem solchen Tag, einem Montag nach der Schule, es hatte die ganze Nacht heftig geschneit, versuchte ich Geir zu überreden, die Einfahrt eines alten Mannes freizuschaufeln. Erst als ich andeutete, dass er uns als Dank für unsere Hilfe sicher etwas Geld zustecken würde, konnte ich ihn zum Mitkommen bewegen. Vater hatte gerade eine neue Schneeschaufel angeschafft, ein Modell, das sich »Sørland-Schaufel« nannte, sie war leuchtend rot und schön, und da er unsere Einfahrt bereits am Morgen geräumt hatte, ging ich davon aus, dass er sie an diesem Tag nicht mehr brauchen würde, und machte mich mit ihr und Geir auf den Weg, der die grüne Sørland-Schaufel seiner Familie vor sich herschob. Das von mir ausgewählte Haus lag in der Kurve, und der alte Mann, der uns öffnete, als wir klingelten, freute sich sichtlich, als er begriff, dass wir nicht gekommen waren, um sein Haus mit Schneebällen zu bewerfen, was sonst viele taten, sondern im Gegenteil seine Einfahrt freischaufeln wollten. Es war harte Arbeit, aber es machte auch Spaß; wir bahn ten uns einen Weg, auf dem wir den Schnee bis zum Rand des Straßengrabens schoben, wo wir ihn abkippten und er wie kleine Lawinen abwärtsstürzte. Der Himmel war grau und schwer und der Schnee so pappig, dass Wasser aus ihm herauslief, wenn man ihn zusammenpresste. Von Torungen draußen schallte das Nebelhorn herüber. Kinder fuhren auf Tretschlitten oder Skiern

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