Spielen: Roman (German Edition)
ausgetrickst.
Natürlich musste ich mir alles Mögliche anhören. Ich sei eingebildet, ich dächte, ich sei etwas Besonderes, ich müsse immer etwas ganz Spezielles gut finden und nicht das, was allen gefalle. Aber das stimmte überhaupt nicht, ich mochte gute Musik und hatte etwas gegen schlechte, das war ja wohl kaum meine Schuld? – und ich lernte dank Yngve und seiner Musikmagazine, die ich durchpflügte, und der Bands, die er mir vorspielte, immer mehr über sie. Magazine, The Cure, The Stranglers, Simple Minds, Elvis Costello, Skids, Stiff Little Fingers, XTC, die norwegischen Bands Kjøtt, Blaupunkt, The Aller Værste!, The Cut, Stavangerensemblet, De Press, Betong Hysteria, Hærværk. Er brachte mir zudem immer mehr Akkorde auf der Gitarre bei, und wenn er nicht zu Hause war, stand ich da und spielte mit dem schwarzen Gibson-Plektrum in den Fingern und dem schwarzen Fender-Band über der Schulter für mich alleine. Sicherheitshalber kaufte ich zusätzlich noch eine Anleitung zum Schlagzeugspielen, schnitzte mir zwei Trommelstöcke und legte um mich herum ein paar Bücher aus. Das linke stand für das Hi-Hat, das daneben für die kleine Trommel und die drei Bücher über diesen waren Tomtoms. Der Einzige, der sich im gleichen Maße für Musik interessierte, war Dag Magne, mit dem ich immer mehr Zeit verbrachte. Meistens saßen wir in seinem Zimmer, legten Platten auf und versuchten, die Songs auf seiner Zwölfsaitigen nachzuspielen, aber er kam auch zu mir, und dann saßen wir zusammen und lasen Comics, denn Mutters Verbot wurde nicht mehr so streng gehandhabt wie früher, während wir meine Kassetten hörten und über Mädchen oder die Band sprachen, die wir bald gründen würden, vor allem darüber, welchen Namen sie bekommen sollte. Er wollte sie Dag Magnes namenlose Jünger nennen, ich wollte, dass sie Blutgerinnsel hieß. Im Grunde waren beide Namen gleich gut, darin waren wir uns einig, und eine endgültige Entscheidung mussten wir ohnehin erst treffen, wenn wir plötzlich auf einer Bühne stehen sollten.
In dieser Weise verging der Winter, in dem auch unsere ersten Klassenfeten stattfanden und wir Flaschendrehen spielten, eng umschlungen tanzten, immer im Kreis, an eines der Mädchen gepresst, mit denen wir seit fünf Jahren in eine Klasse gingen, so dass wir sie fast besser kannten als unsere eigenen Schwestern, und mein Kopf fast explodierte, als auf einmal Anne Lisbets Körper meinem eigenen so nahe war. Der Duft ihrer Haare, die funkelnden Augen, die immer noch so von Leben überschäumten wie früher. Und, oh, die kleinen Brüste unter ihrer dünnen weißen Bluse.
Was war das für ein FANTASTISCHES Gefühl?
Vollkommen neu war es, in all den Jahren ungefühlt, aber nun kannte ich es, nun wollte ich wieder dorthin.
Der Winter ging, und der Frühling kam mit seinem Licht, das die Passage zur Nacht Tag für Tag ein wenig länger offen hielt, und seinem kalten Regen, der den Schnee langsam in sich zusammenfallen und verschwinden ließ. An einem dieser von Dunkelheit und Regen verdüsterten Märzmorgen kam ich in die Küche, um wie üblich zu frühstücken. Mutter war schon fort, sie hatte Frühschicht. Sie hatte vergessen, das Radio auszuschalten. Schon in meinem Zimmer hatte ich begriffen, dass im Laufe der Nacht etwas passiert sein musste, denn die Stimmen im Radio, deren Worte unverständlich blieben, so dass ich nur ihren Klang wahrnahm, hörten sich ungewöhnlich dramatisch an. Ich machte mir ein Brot, belegte es mit einer Scheibe Salami und goss Milch ins Glas. Auf der Nordsee hatte es einen Unfall gegeben, eine Ölbohrinsel war gekentert und lag unter Wasser. An der Außenseite der Fensterscheibe glitten sachte die Regentropfen herab. Das leise trommelnde Geräusch des Regens, der aufs Dach fiel, umschloss unser Haus wie eine Membran. In den Fallrohren rieselte das Wasser. Oben bei Gustavsens wurde das Auto angelassen, wurden die Scheinwerfer eingeschaltet. Es war eine Katastrophe, eine unüberschaubare Zahl von Menschen wurde vermisst, keiner wusste genau, wie viele es waren. Als ich eine halbe Stunde später zum B-Max kam, die Hose in den Gummistiefeln und die Kapuze meiner Regenjacke dicht um den Kopf geschnürt, sprachen alle nur über das eine. Jeder kannte jemanden, der jemanden kannte, der einen Vater oder einen Bruder hatte, der auf dieser Bohrinsel arbeitete. Alexander Kielland hieß sie, und wahrscheinlich war einer ihrer Stützpfeiler gebrochen. War eine Monsterwelle dafür
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