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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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uns leider die Zeit. Also habe ich vier Stück ausgewählt. Wie ihr wisst, heißt das nicht automatisch, dass es die besten sind. Alle in unserer Klasse schreiben gute Aufsätze.«
    Ich starrte den Stapel an, um zu sehen, ob ich mein Heft erkennen konnte. Es war jedenfalls nicht das oberste, das stand fest.
    Anne Lisbet zeigte auf.
    Sie hatte einen weißen Strickpullover an, der ihr unheimlich gut stand. Die schwarzen Haare und ihre schwarzen Augen passten zu dem Weiß, und die roten Lippen und roten Wangen, die immer glühten, wenn sie ins Warme kamen, passten auch dazu.
    »Ja?«, sagte die Lehrerin.
    »Dürfen wir stricken, wenn Sie die Aufsätze vorlesen?«, fragte Anne Lisbet.
    »Dagegen habe ich nichts einzuwenden«, antwortete unsere Lehrerin.
    Vier Mädchen bückten sich und holten ihr Strickzeug aus den Ranzen.
    »Können wir auch Hausaufgaben machen?«, erkundigte sich Geir Håkon.
    Jemand lachte kurz auf.
    »Du musst aufzeigen wie jeder andere auch, Geir Håkon«, sagte die Lehrerin, »aber die Antwort lautet selbstverständlich Nein.«
    Geir Håkon grinste mit leicht gerötetem Gesicht, nicht weil er zurechtgewiesen worden war, sondern weil er sich getraut hatte. Er wurde immer ein wenig rot, wenn er in der Klasse das Wort ergriff.
    Die Lehrerin begann zu lesen. Der erste Aufsatz war nicht meiner. Aber es kommen ja noch drei, dachte ich und streckte die Beine aus. Ich mochte diese ersten Schulstunden, in denen es draußen noch ganz dunkel war und wir wie in einer leuchtenden Kapsel saßen, allesamt mit leicht zerzausten Haaren und schläfrigen Augen und diesem Weichen, Unscharfen in den Bewegungen, die der Tag dann immer schärfer schliff, bis alle umherliefen und einander mit aufgeregten Augen und fuchtelnden Gliedern ins Wort fielen.
    Der zweite Aufsatz war auch nicht meiner. Und der dritte ebenso wenig.
    Als sie nach dem vierten Aufsatzheft griff, blickte ich besorgt zu ihr auf. Das war doch nicht meins?
    Oh. Sie würde ihn nicht vorlesen.
    In meinem Inneren sackte vor Enttäuschung etwas in sich zusammen. Gleichzeitig trat etwas anderes in den Vordergrund. Mein Aufsatz war der beste von allen, das wusste ich, und das wusste sie. Trotzdem hatte sie ihn schon beim letzten Mal nicht vorgelesen und jetzt auch wieder nicht. Welchen Sinn hatte es dann, gut zu schreiben? Beim nächsten Mal würde ich so schlecht schreiben, wie ich nur konnte.
    Endlich legte sie diesen erbärmlichen Aufsatz weg.
    Ich zeigte auf.
    »Warum haben Sie meinen nicht vorgelesen?«, fragte ich. »War er schlecht?«
    Ihre Augen wurden für eine Sekunde schmäler, ehe sie sie wieder öffnete und lächelte.
    »Es sind fünfundzwanzig Aufsätze abgegeben worden. Ich kann nicht alle vorlesen, das verstehst du doch sicher. Ehrlich gesagt gehören deine Aufsätze zu denen, die ich am häufigsten vorlese. Diesmal waren eben andere an der Reihe.«
    Sie klatschte einmal in die Hände.
    »Und diesmal waren sie wirklich fantastisch. Was habt ihr nur für eine Fantasie! Die Texte haben mir alle großen Spaß gemacht.«
    Sie nickte Geir B. zu, der daraufhin aufstand und nach vorne ging. Er war Ordnungsschüler und würde die Aufsätze austeilen. Ich blätterte meinen rasch durch. Im Durchschnitt ein Fehler pro Seite. Ihr Kommentar unter dem Text lautete: »Fantasievoll und gut, Karl Ove, aber endet die Geschichte nicht ein bisschen abrupt? Du hast wenig Fehler gemacht, aber an deiner Schrift musst du noch arbeiten!«
    Wir hatten die Aufgabe bekommen, über etwas in der Zukunft zu schreiben. Ich hatte über einen Weltraumflug geschrieben. Das heißt, in meiner Schilderung nahm die Be schreibung der unterschiedlichen Trainingsprogramme der Astronauten so viel Raum ein, dass ich schon zehn Seiten gefüllt hatte, als es Zeit für den Start war, so dass ich nach einigem Nachdenken auf die Idee kam, dass der Flug in letzter Sekunde wegen eines technischen Fehlers abgesagt wurde, woraufhin die Astronauten unverrichteter Dinge nach Hause fuhren.
    »Hotel«, hatte ich an einer Stelle geschrieben. Dort hatte sie in ihrer roten Kringelschrift ein zweites »l« hinzugefügt. Ich zeigte auf, und sie kam zu mir.
    »Hotel wird mit einem l geschrieben. Das weiß ich. Ich habe es in einem Buch gesehen, da bin ich mir ganz sicher.«
    Sie beugte sich vor. Von ihren Händen stieg Seifengeruch auf, und von ihrem Hals ging der schwache Duft eines sommerlichen Parfüms aus.
    »Ja, in gewisser Weise hast du recht, andererseits aber auch nicht. Im Englischen schreibt man

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