Spielen: Roman (German Edition)
sich auf einmal wieder völlig anders und wollten nicht nur mit mir reden, sondern bei den Klassenfeten, die wir inzwischen organisierten, bei irgendwem zu Hause oder in der Schule, auch mit mir tanzen. Meine Haltung ihnen gegenüber war genauso zwiespältig, jedenfalls was die Mädchen in meiner Klasse betraf. Einerseits kannte ich sie nach fünf Jahren Schule so gut, dass ich ihnen völlig teilnahmslos gegenüberstand, andererseits veränderten sie sich allmählich, die Wölbungen unter ihren Pullovern wuchsen, ihre Hüften wurden breiter, und sie verhielten sich anders, erhoben sich über uns, richteten ihre Blicke plötzlich zwei, drei Klassen höher, wenn sie sich nach Jungen umschauten. Wir mit unseren hellen Stimmen, die wir mehr oder weniger verstohlen alles verschlangen, was sie plötzlich besaßen, waren für sie nur Luft. Aber obwohl sie so wichtig waren, wussten sie doch nichts über die Welt, der sie sich zuwandten. Was wussten sie denn schon von Männern und Frauen und Begierde? Hatten sie Wilbur Smith gelesen, bei dem Frauen unter stürmenden Himmeln mit Gewalt genommen wurden? Hatten sie Ken Follett gelesen, bei dem ein Mann die Möse einer Frau rasierte, während sie in ei ner Badewanne voller Schaum lag? Hatten sie Insektensommer von Knut Faldbakken gelesen, in dem jene Passage stand, die ich auswendig kannte, als er ihr im Heu den Slip auszog? Hatten sie jemals ein Pornoheft in der Hand gehalten? Und was verstanden sie denn schon von Musik? Ihnen gefiel doch nur, was allen gefiel, The Kids und anderer Mist aus den Hitlisten, es bedeutete ihnen nichts, nicht wirklich, sie hatten keine Ahnung davon, was Musik war oder sein konnte. Sie waren ja nicht einmal in der Lage, sich ordentlich anzuziehen, tauchten in der Schule in den seltsamsten Kleiderkombinationen auf, ohne es überhaupt zu merken. Und dann wollten sie auf mich herabblicken? Ich hatte Wilbur Smith und Ken Follett und Knut Faldbakken gelesen, ich blätterte seit Jahren in Pornoheften, ich hörte die Bands, die wirklich zählten, und verstand es, mich gut zu kleiden. Und dann sollte ich weniger wert sein als sie?
Um ihnen zu demonstrieren, wie die Dinge wirklich la gen, landete ich im Musikunterricht einen kleinen Coup. Jeden Freitag gab es bei uns eine sogenannte Klassenhitparade. Sechs Schüler brachten ein Lied mit, über das anschließend alle abstimmten. Meine Songs landeten grundsätzlich auf dem letzten Platz, ganz gleich, was ich ihnen vorspielte. Led Zeppelin, Queen, Wings, Beatles, Police, Jam, Skids – das Ergebnis war immer gleich, eine oder zwei Stimmen, letzter Platz. Ich wusste, dass sie gegen mich stimmten und nicht gegen die Musik. Die Musik hörten sie im Grunde gar nicht, was mich maßlos ärgerte. Ich beklagte mich bei Yngve, der nicht nur wusste, wie nervtötend das war, weil er auch nichts von der Musik in den Charts hielt, sondern auch eine Idee hatte, wie man sie hereinlegen könnte. Die zweite Platte von The Kids war noch nicht erschienen. Eines Freitags nahm ich deshalb die erste LP von The Aller Værste!, Materialtretthet, also Materialermüdung, mit, die Yngve nur wenige Tage zuvor bekommen hatte, und erklärte, es handele sich um ein Vorabexemplar der neuen Platte von The Kids. Der Musiklehrer war in meinen Plan eingeweiht worden und legte das erste Lied der Platte auf, die bloß in der weißen Innenhülle lag, weil die Platte so frisch sei, verkündete ich, dass die richtige Plattenhülle noch nicht fertig sei. The Aller Værste! fanden sie eigentlich alle ganz besonders furchtbar, als ich ihnen das letzte Mal etwas davon in der Klasse vorgespielt hatte, die Single Rene hender , Saubere Hände, hatten sie mir tagelang hinterhergerufen, Saubere Hände, Saubere Hände, aber als nun die ersten Töne der ersten Platte der Band im Klassenzimmer ertönten, geschah es zu gemurmelter und wachsender Begeisterung, die ihren Höhepunkt erreichte, als die Abstimmung abgeschlossen war und sich herausstellte, dass die Gruppe The Aller Værste! unter dem Pseudonym The Kids souverän den Sieg errungen hatte. Oh, meine Augen leuchteten triumphierend, als ich daraufhin aufstehen und verkünden konnte, dass sie nicht für The Kids gestimmt hatten, sondern für The Aller Værste!, und ich fortfuhr, dies beweise, dass sie sich gar nicht für Musik interessierten, sondern andere Dinge ihren Geschmack bestimmten. Oh, was waren sie wütend! Aber sie konnten natürlich nichts sagen. Dafür hatte ich sie zu raffiniert
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