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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Hotel mit einem l, im Norwegischen dagegen mit zwei.«
    »Aber das Hotel Phoenix schreibt sich mit einem l«, widersprach ich. »Und das liegt in Norwegen. Sogar in Arendal!«
    »Da hast du allerdings recht.«
    »Dann ist es also doch nicht falsch?«
    »Ich sage jetzt mal Nein. Und es war wirklich ein guter Aufsatz, Karl Ove.«
    Sie richtete sich auf und kehrte zum Lehrerpult zurück. Ihre Worte taten mir gut, auch wenn sie nur im Gespräch mit mir gefallen waren.
    Draußen regnete und stürmte es weiter. Die Bäume außerhalb des Schulgeländes schwankten und knarrten, und als wir nach dem Ende der Pause in die Turnhalle gingen, drückte der Wind in den Böen mit solcher Wucht gegen die hohen Wände, dass es sich manchmal anhörte, als schlügen Wellen gegen sie. Es heulte und pfiff in den Lüftungsschächten, als wäre das Gebäude lebendig, ein riesiges Tier voller Räume, Gänge und Schächte, das sich hier neben der Schule hingelegt hatte und in seiner Mutlosigkeit leise seine einsamen Klagelieder vor sich hin sang. Vielleicht waren aber auch die Geräusche lebendig, dachte ich, als ich im Umkleideraum auf der Bank saß und mich auszog. Sie wurden lauter und leiser, wirbelten eine Weile irgendwie im Kreis, wirbelten mal hierhin, mal dorthin, als wären sie mitten in einem Spiel. Nackt stand ich auf, nahm mein Handtuch in die Hand und ging in die Dusche, die der Wasserdampf bereits gewärmt hatte. Mitten in die Schar blasser, fast marmorweißer Jungenkörper stellte ich mich und wurde vom heißen Wasser überspült, das erst meinen Scheitel traf und dann in dichten Strömen über Gesicht und Brust, Nacken und Rücken herunterlief.
    »Tor hat einen Ständer! Tor hat einen Ständer!«
    Ich öffnete die Augen und sah zu Sverre hinüber, der dies gerufen hatte. Er zeigte quer durch den schmalen Raum dorthin, wo grinsend, mit hängenden Armen und stehendem Pimmel Tor stand.
    Tor hatte den größten Pimmel in der Klasse, ja, vielleicht sogar in der ganzen Schule. Er baumelte wie eine dicke Festtagswurst zwischen seinen Beinen, was kein Geheimnis war, denn er trug immer enge Hosen und legte seinen Schwanz in ihnen schräg nach oben, damit ihn alle sahen. Ja, er war groß. Aber jetzt, ganz steif, war er riesig.
    »Großer Gott!«, rief Geir Håkon.
    Alle starrten ihn an. Auf einmal herrschte eine aufgekratzte Stimmung, und allen war klar, dass irgendetwas getan werden musste. Eine derart außergewöhnliche Situation durfte nicht ungenutzt vergehen.
    »Wir bringen ihn zu Frau Hensel!«, rief Sverre. »Jetzt kommt schon, schnell, bevor es vorbei ist!«
    Frau Hensel war unsere Sportlehrerin. Sie stammte aus Deutschland, sprach nur gebrochen Norwegisch, war streng, adrett und zugeknöpft, was von ihrer schmalen Brille und den immer gleich straff hochgesteckten Haaren noch unterstrichen wurde. Sie war detailverliebt, aber gleichzeitig geistesabwesend, so dass wir sie insgesamt etwas eingebildet fanden. Als Sportlehrerin war sie ein Alptraum, da sie eine Vorliebe für Geräteturnen hatte und uns fast nie Fußball spielen ließ. Als Sverre vorschlug, dass wir Tor zu ihr in die Halle bringen sollten, wo sie noch mit der Trillerpfeife um den Hals und in ihrem blauen Turnanzug mit den weißen Strümpfen aufräumte, wussten alle, dass es eine geniale Idee war.
    »Nein«, sagte Tor. »Tut das nicht!«
    Sverre und Geir Håkon gingen zu ihm und packten ihn an den Armen.
    »Nun kommt schon!«, rief Sverre. »Noch zwei!«
    Dag Magne trat zu ihnen, und zusammen mit Geir B. packte er Tors Beine und hob ihn hoch. Tor protestierte und wand sich ein wenig, als sie ihn aus der Dusche trugen, aber sein Widerstand fiel eher halbherzig aus. Der Rest folgte ihnen. Es war ein Bild für die Götter. Tor, splitternackt und mit einem riesigen aufgerichteten Schwanz, getragen von vier nackten Jungen, gefolgt von einer kleinen Prozession nackter Jungen, die sich durch den Umkleideraum in die große, kalte Halle bewegte, wo sich Frau Hensel, die um die dreißig sein mochte, am anderen Ende des Raums zu uns umdrehte.
    »Was wollt ihr?«, fragte sie.
    Die Träger liefen mit Tor zu ihr. Als sie direkt vor ihr standen, richteten sie Tor auf, als wäre er eine Statue, die es zu besichtigen gälte, ließen ihn so etwa fünf Sekunden stehen, ehe sie ihn wieder hinlegten und in den Umkleideraum zurückstürmten.
    Frau Hensel hatte lediglich Nein, nein, Jungs, das geht doch nun wirklich nicht gesagt und ansonsten nichts unternommen. Kein Gezeter, kein Schrei,

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