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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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hatte nicht nur dunkle Augen und schwarze Haare und war hübsch, er war auch cool und wurde von allen respektiert. Dass er offenbar nichts gegen mich hatte, war deshalb ungeheuer aufbauend, es hob mich mit einem Schlag aus Tybakken und der Schar der Kinder dort heraus. Sie wollten nichts mit mir zu tun haben, Kjell dagegen schon, was spielte es da noch für eine Rolle? Auch mit Lars hing ich während unseres Aufenthalts in Oslo herum, auch das war mehr, als ich mir eigentlich hätte erhoffen können.
    Vielleicht war ich ja deshalb so unbeschreiblich froh, als ich dort lag. Es ist allerdings auch denkbar, dass es an dem Lied lag, an Roxy Musics More Than This. Der Song war so mitreißend und schön, und um mich herum lag in der hellen, schwach bläulichen Sommernachtsdunkelheit eine ganze große Stadt, die nicht nur voller Menschen war, über die ich nichts wusste, sondern auch voller Plattengeschäfte mit Hunderten, vielleicht auch Tausenden guter Bands in ihren Regalen, mit Konzerthallen, in denen die Bands, über die ich sonst nur las, tatsächlich auftraten. In der Ferne rauschte der Verkehr, aus allen Richtungen ertönten Stimmen und Gelächter, und Bryan Ferry sang More than this – there is nothing. More than this – there is nothing.

Mitte August fuhren wir an einem späten Abend alle vier nach Torungen hinaus, um Krabben zu fangen. Vater hatte eine lichtstarke Unterwasserlampe gekauft, und außer seiner Tauchermaske, den Schwimmflossen und einem leeren weißen Bottich nahm er auch noch eine Harke mit. Eine ganze Kolonie von Möwen schwang sich in die Luft, als wir an Land gingen, und kreiste schreiend über unseren Köpfen. Einige stürzten sich so jäh herab, dass sie uns fast schnitten, das Ganze war wild und furchteinflößend, aber als wir auf die Seeseite kamen und das nachtschwarze Meer ruhig vor uns lag, ließen sie von uns ab. Mutter entfachte ein Lagerfeuer, Vater zog sich aus, legte die Schwimmflossen an und glitt mit der Lampe in der Hand ins Wasser, setzte die Tauchermaske auf und verschwand unter der Oberfläche. Als er wieder auftauchte, spritzte in einer kleinen Fontäne Wasser aus dem Schnorchel.
    »Da waren keine«, sagte er. »Wir versuchen es ein paar Meter weiter.«
    Yngve und ich gingen langsam über die Uferfelsen. Hinter uns schrien weiter die Möwen. Mutter bereitete das Essen für uns vor.
    Dann tauchte er wieder auf, diesmal mit einer prächtigen, zappelnden Krabbe in der Hand.
    »Kommt mit dem Bottich!«, rief er uns zu. Yngve ging bis zum Wasser hinunter, Vater legte das Tier hinein und schwamm wieder los.
    Ich schämte mich ein bisschen, denn so fing man eigentlich keine Krabben, das machte man mit einer Reuse, während man selbst auf dem Land ging und leuchtete. Andererseits war auf dieser Schäre außer uns kein Mensch.
    Hinterher, als der Bottich bis zum Rand mit krabbelnden Schalentieren gefüllt war, saß Vater am Feuer und wärmte sich auf, während wir Würstchen grillten und Limonade tranken. Als er das Feuer zischend mit einem Eimer Meerwasser löschte, entdeckte ich auf dem Weg zum Boot eine tote Möwe, die in einer kleinen Vertiefung im Felsgrund lag. Ich fasste sie an. Sie war noch warm. Plötzlich durchlief ein Zucken ihr Bein, und ich schreckte zurück. War sie etwa doch nicht tot? Ich beugte mich noch einmal vor und stach den Finger in die weiße Brust des Vogels. Keine Reaktion. Ich richtete mich auf. Es war so furchtbar, dass sie dort lag. Nicht so sehr, weil sie tot war, sondern weil sie mir in ihren Farben und Linien beinahe obszön präzise erschien. Der orange Schnabel, die gelben und schwarzen Augen, die großen Flügel. Und die Füße, irgendwie schuppig und kriechtierartig.
    »Was hast du gefunden?«, fragte Vater hinter mir.
    Ich wandte mich um, und er leuchtete mir mit der Taschenlampe ins Gesicht. Abwehrend hob ich die Hände.
    »Eine tote Möwe«, antwortete ich.
    Er senkte den Lichtstrahl.
    »Lass mal sehen«, sagte er. »Wo liegt sie?«
    »Da«, antwortete ich und zeigte es ihm.
    Im nächsten Moment lag sie im hellen Schein der Lampe wie auf einem Operationstisch. Die Augen reflektierten funkelnd das Licht.
    »Dann gibt es hier jetzt irgendwo ein paar junge Möwen, für die es gar nicht gut aussieht«, bemerkte er.
    »Meinst du?«, fragte ich.
    »Ja, sie haben immer noch Jungvögel in den Nestern. Deshalb waren sie vorhin so hinter uns her. Komm jetzt.«
    In Richtung der glitzernden Stadt fuhren wir, durch den Sund und zum Bootssteg, immer

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