Spielen: Roman (German Edition)
sie zu allen Menschen in ihrer Nähe war.
Mit Lars als Freund fiel alles, was aus Tybakken kam, von mir ab. Gleichzeitig hatte ich mich praktisch über Nacht verändert, jetzt war ich nicht mehr darauf bedacht, Gutes zu tun, im Gegenteil, ich begann zu fluchen und Äpfel zu klauen, ich warf Steine, um Straßenlaternen und Bauwagenfenster zersplittern zu lassen, gab in den Schulstunden rebellische Antworten und hörte auf zu beten. Welch eine Freiheit das bedeutete! Ich liebte es, Äpfel zu stehlen, und je größer das Risiko war, desto besser. Morgens auf dem Schulweg mein Fahrrad abzustellen, in einen Garten zu laufen und mir am helllichten Tag fünf bis zehn Äpfel zu schnappen, um mich anschließend einfach wieder aufs Rad zu schwingen und meine Fahrt fortzusetzen, als wäre nichts geschehen, gab mir ein dermaßen gutes Gefühl, wie ich es bis dahin nicht gekannt, ja, von dessen Existenz ich nicht einmal gewusst hatte. Einer der Gärten, an denen ich vorbeikam, war neu angelegt worden, und in seiner Mitte stand ein einziger kleiner Apfelbaum, an dem ein einziger Apfel hing, und man brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass dieser Apfel dem Vater wichtig war, der den Baum im Frühjahr gepflanzt hatte, genau wie seinen beiden kleinen Kindern, die sich täglich darauf freuten, dass dieser Apfel, der für sie der Apfel sein musste, endlich reif sein würde. Es war ihr Apfel, den ich dort jeden Morgen baumeln sah und den ich mir schließlich holte.
Aber nicht am Abend, als es dunkel war und man gute Chancen hatte, unbeobachtet zu bleiben, nein, ich tat es am Morgen, auf dem Weg zur Schule. Ich stellte einfach mein Fahrrad ab, stieg über den Gartenzaun, ging über den Rasen, zupfte den Apfel ab und schlug auf dem Rückweg die Zähne in ihn hinein. Eine neue Welt hatte sich mir geöffnet. Ich stahl zwar noch nicht in Geschäften, aber der Gedanke war mir durchaus schon gekommen, ich zog es ständig in Erwägung. Zu Hause veränderte ich mich dagegen nur insofern, als dass ich mich freier benahm, fröhlicher war, mehr redete, was Mutter wahrscheinlich kaum auffiel, da die Unfreiheit so stark mit Vaters Gegenwart verbunden war und sein rasender Zorn sich nur dann in seinem ganzen Ausmaß entfaltete, wenn er mit uns alleine war. Mit Mutter hatte ich immer über alles geredet, das heißt, selten über das, was die Welt draußen direkt berührte, stattdessen waren mir eher Dinge über die Lippen gekommen, die mir laufend durch den Kopf gingen, alle möglichen Einfälle und Vorstellungen, aber zu jener Zeit ging ich bewusster damit um, was ich ihr sagte und was ich ihr nicht sagte, da ich erkannte, wie wichtig es war, dass die eine Welt rein und hell bleiben musste und nichts von den vielen und langen Schatten der anderen Welt enthalten durfte.
In jenem Herbst öffneten sich beide, aber es war kein mechanisches Garagentor, das hochgezogen wurde, die Öffnung war lebendig und organisch, wie von einem Muskel gesteuert: Wenn Vater freitags nach Hause kam, schloss sich die Welt zu Hause wieder um mich herum, die alten Verhaltensmuster traten wieder in Kraft, und ich hielt mich möglichst wenig in ihr auf. Doch während die Welt daheim vertraut und in ihrer Unvorhersehbarkeit immer gleich erschien, war die Welt draußen vollkommen unüberschaubar, oder besser gesagt, was geschah, geschah klar und deutlich und unzweifelhaft, es waren vielmehr die Ursachen für die Dinge, die passierten, die so dämmerungshaft diffus blieben.
Jeden Freitag fand in der alten Sporthalle der Schule ein Jugendclub statt. Er stand allen Schülern der Gesamtschule offen und war für mich schon seit Jahren ein sagenumwobener Ort gewesen, der ebenso anziehend war, wie er unerreichbar geblieben war. Ich hatte Yngve beobachtet, wenn er sich sorgfältig kleidete, bevor er hinging, einmal trug er sogar ein Halstuch. Ich wusste, dass dort getanzt und Tischtennis und Carrom gespielt wurde, dass Cola und Würstchen verkauft und gelegentlich auch Filme gezeigt wurden, dass Konzerte und besondere Programmpunkte stattfanden. Es wurde viel darüber geredet, dass wir eines Tages Zugang zu diesem geheimnisumwitterten Ort bekommen würden, vor allem unter den Mädchen, denn aus irgendeinem Grund brachten sie vor allem sich mit dem Club in Verbindung, als wäre er in erster Linie für sie bestimmt, aber auch unter uns war er des Öfteren Gesprächsthema.
Als ich zum ersten Mal mit dem Fahrrad hinfuhr, hatte ich das Gefühl, in ein Ritual eingeweiht zu
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