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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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begleitet vom leisen Klappern und gespenstischen Rascheln der Krabben in den zwei vollen Eimern. Als wir zu Hause ankamen, kochte Vater sie sofort, und es hatte etwas Befreiendes, die Gnadenlosigkeit dieser Operation zu beobachten: Lebend wurden sie aus dem Eimer gehoben, lebend fielen sie ins kochende Wasser, tot wälzten sie sich in ihren knochenweißen, laubbraunen Panzern herum.
    Zwei Tage nach unserem nächtlichen Ausflug zog Vater nach Kristiansand. Er hatte eine Stelle an einem Gymnasium in Vennesla gefunden, und zum Pendeln war es zu weit, so dass er in einem Mietshaus im Viertel Slettheia eine Wohnung gemietet hatte. Was er dort benötigte, schaffte er mit einem geliehenen Anhänger in drei Fuhren hin, und danach tauchte er nur jedes Wochenende zu Hause auf, und mit der Zeit nicht einmal mehr das. Er würde sich nach einem Haus in der Umgebung von Kristiansand umsehen, und wir sollten dann im nächsten Sommer umziehen.
    Für mich war es eine große Erleichterung, dass er fortging, und dass er ausgerechnet in dem Herbst die Stelle wechselte, in dem ich in die Schule kam, an der er dreizehn Jahre unterrichtet hatte, war ebenfalls ein fast unglaubliches Glück. Wäre er dort weiterhin tätig gewesen, hätte mich der Gedanke an seinen Blick pausenlos verfolgt, und ich hätte es kaum einmal gewagt aufzuzeigen, ohne vorher sorgfältig die Konsequenzen überdacht zu haben. So war es für Yngve gewesen, doch für mich würde es anders sein.
    Die ersten Tage an der Gesamtschule erinnerten an jene, die wir erlebt hatten, als wir sechs Jahre zuvor in die erste Klasse gekommen waren. Alle Lehrer waren neu und unbekannt, alle Gebäude waren neu und unbekannt, und abgesehen von den alten Klassenkameraden waren auch alle Schüler neu und unbekannt. Hier galten andere Regeln und Verhaltensmuster, hier machten andere Gerüchte und Geschichten die Runde, hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre. In der Gesamtschule spielte niemand. Niemand sprang Gummitwist oder Seil, niemand warf einen Ball, niemand spielte Fangen oder Verstecken. Die einzige Ausnahme war Fußball, gekickt wurde hier genau wie in der Grundschule. Nein, in der Gesamtschule hing man in den Pausen irgendwo herum. Die Raucher lümmelten in einer Ecke für sich beim Schlechtwetterunterstand, unterhielten sich und lachten und waren mit ihren Feuerzeugen und Zigaretten beschäftigt, manche in Lederjacken, manche in Jeansjacken, fast alle im Besitz irgendeines Mopeds, denn Motorräder waren ein fester Bestandteil des Lebens, das sie führten. Über einige von ihnen kursierten Gerüchte, zum Beispiel, dass sie an Einbrüchen beteiligt gewesen seien, dass sie betrunken in der Schule erschienen seien, oder sogar, dass sie Drogen probiert hätten, was sie natürlich nicht abstritten, allerdings auch nicht bestätigten, sie waren förmlich in eine Aura aus Mystik und Verderben gehüllt, und natürlich war es John, der schon am ersten regulären Schultag mit ihnen zusammenstand und sein heiseres Lachen hören ließ. Die dort zusammenstanden, verachteten jegliches Bücherwissen und hassten die Schule, die meisten von ihnen hatten geschickte Hände und wollten schon als Achtklässler den Schritt ins Arbeitsleben machen, was man ihnen auch erlaubte, alle lost cases durften das, die Schule war mehr als froh, sie loszuwerden. Aber abgesehen von den Zigaretten in den Mundwinkeln benahmen sie sich im Grunde auch nicht anders als alle anderen, die genauso in Cliquen herumstanden und quatschten und lachten. Die Mädchen für sich, die Jungen für sich. Ab und zu schikanierten einige Jungen ein paar Mädchen, dann gab es ein bisschen Gerenne und Gejohle, und in seltenen Fällen kam es zwischen zwei Jungen zu einer Prügelei, und alle auf dem Schulhof wurden davon angesogen wie Schwimmer von einer Gezeitenwelle, die Anziehungskraft war unwiderstehlich.
    Es dauerte ein paar Wochen, bis wir uns an das neue Schulleben gewöhnt hatten. Alles musste ausgelotet werden. Wir mussten die Grenzen der Lehrer und ihre Vorlieben erkunden. Wir mussten das richtige Niveau finden. Was innerhalb der Schulwände zählte und was außerhalb von ihnen zählte.
    In Naturkunde bekamen wir Larsen, den Lehrer, der schon einmal betrunken in die Schule gekommen war und immer aussah, als hätte er in voller Montur auf der Couch geschlafen und wäre gerade erst aufgestanden, ganz gleich, um welche Uhrzeit wir ihn hatten, er war immer ein wenig träge und unkonzentriert, liebte jedoch Experimente, wenn es

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