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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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undden Mist, den sie allen anderen zugemutet haben. Er dachte an seine Freunde und deren Familien mit ihren ewigen Familiendramen. Und er fand sich damit ab, dass jeder Mensch auf Erden ein blubbernder Hexenkessel von Verkommenheit und Sünde ist. Dann drifteten Lukes Gedanken etwas ab, und er starrte erneut auf den Fernseher über der Bar: drei Verletzte bei Busunglück. Strompreise steigen um 1,5 Prozent. OPEC -Treffen endet in Streit. All dieser Müll, diese Gemeinheit, dieses Böse auf der Welt – in jedem einzelnen Menschen auf der Welt! –, und das Beste, was einem die Nachrichten zu bieten haben, sind drei Verletzte bei einem Busunglück?
    Luke sah Rachel an. »Stimmt. Ich glaube nicht mehr an Gott.«
    »Oh. Okay. Wie kommt’s?«
    »Weil ich eines Morgens einen Spatzen habe gähnen sehen.«
    »Gähnen im Sinne von Aufwachgähnen?«
    »Genau.«

RACHEL
    Rachel sitzt an einem lausigen Computer in der Cocktaillounge eines Flughafenhotels vor roten Plastikwänden und überlegt zu gehen, beschließt dann aber doch dazubleiben, denn sie hat eine Mission zu erfüllen, eine Mission, die ihren Anfang im letzten Winter vor dem Küchenfenster nahm, als sie mithörte, wie ihr Vater zu ihrer Mutter sagte: »Mein Gott, was für eine Verschwendung eines Menschenlebens.«
    »Red nicht so, Ray. Wir müssen dafür sorgen, dass sie mehr unter Leute kommt. Vielleicht Männern in ihrem Alter begegnet.«
    »Ach ja, und dann? Glaubst du, sie heiratet und gründet eine glückliche Familie?«
    »Wieso fängst du jetzt überhaupt davon an, Ray?«
    »Ich fange davon an, weil wir es nie zur Sprache bringen. Keine Enkel. Kein Schwiegersohn. Kein gar nichts, nur immer dieser Roboter, der achtzehn Stunden am Tag in der Garage werkelt … Sie hat keinen Sinn für Humor. Medizinisch, klinisch, wissenschaftlich gesehen keinen Sinn für Humor. Und auch keine Spur von Ironie, Mitgefühl, Zuneigung, von …«
    »Ich bin froh, dass wir darüber reden. Glaubst du, Heiraten kommt für sie in Frage? Und dass sich alles bessern wird, wenn sie erst ein Kind hat?«
    »Ehrlich gesagt, ja. Ist nie geküsst worden. Wird nie geküsst werden. Herr im Himmel, wie deprimierend.«
    »Stopp!«
    Dass sie zufällig ihren Vater belauscht und seine Sicht der Dinge mitbekommen hatte, führte dazu, dass Rachel sich das Ziel steckte, Kinder zur Welt zu bringen und auf diese Art ihren Wert als menschlichesWesen zu beweisen. Sie sieht im Gebären einen zutiefst menschlichen Akt, und sie würde es mit dem Menschsein gerne einmal versuchen. Sie ist nicht sicher, warum sie kein Mensch werden durfte, aber jetzt sieht sie ihre Chance, etwas daran zu ändern.
    Als Kind hat sie versucht, einen Menschen aus sich zu machen, und recherchiert, was ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet, aber nicht mehr herausgefunden, als dass nur Menschen Kunst und Musik hervorbringen – Elefanten können mit einem Quast ebenfalls etwas pinseln, doch das zählt irgendwie nicht. Außerdem machen nur Menschen Witze, nur Menschen kochen, nur bei Menschen gibt es ein Inzesttabu, und nur Menschen kennen eine Sepulkralkultur. Musik mag und versteht Rachel nicht, denn es sind doch nur Geräusche; sie versteht auch Malerei nicht, denn das ist nur Gekleckse und Gekritzel, das mit Fotorealismus nicht vereinbar ist. Genauso unverständlich ist ihr Humor oder was man unter Witz versteht – sie nimmt bloß verwirrende, blökende Laute wahr, die Menschen von sich geben, wenn sie gerade (und gewöhnlich nach Alkoholkonsum) etwas »Witziges« gehört haben. Doch von der Aufzucht weißer Labormäuse in der Garage weiß sie, dass ein Inzesttabu genetisch sinnvoll ist, daher ist sie entschieden für ein Tabu. Und auch Bestattungsrituale findet sie vernünftig, denn sie ermöglichen es den Menschen, wieder zu Erde zu werden und sich somit als nützlich zu erweisen.
    Die einzigartigen Aspekte der menschlichen Natur zu bestimmen ist nichts, was Rachel auf die leichte Schulter nimmt, und sie macht auch nicht den Fehler, Spitzentechnologie als einzigartiges Attribut des Menschen zu betrachten: Komplexe menschliche Aktivitäten wie beispielsweise die Anreicherung von Uran sind ja im Grunde nur ausgeklügelte Methoden zur Wärmeerzeugung und Kampfkraftsteigerung – beides nicht unbedingt menschenspezifisch. Atome zu Quarks und Leptonen zu zertrümmern ist Hightech, doch bei näherer Betrachtung ist es auch nur eine Methode, unglaublich kleine undteure Bausteine zu entwickeln, und aus Bausteinen baut man

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