Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Ich schick dir später ein paar von den Fotos. Wie lief es mit Mr. Right?«
»Nicht ganz so gut. Casey …«
»Ja?«
»Ich möchte, dass du nach Hause gehst. Okay, Süße?«
»Auf keinen Fall. Hier ist einfach zu viel los. Völlig kranker Wahnsinn. Aber irgendwie auch abgefahren.«
»Mir ist egal, wie abgefahren es ist, Casey. Ich möchte, dass du nach Hause gehst, und wenn du ankommst, ruf bitte die Polizei an und sag ihnen, sie sollen sofort zu der Hotellounge kommen, in der ich gerade bin.«
»Warum? Was ist los?«
»Mach dir um mich keine Sorgen, Casey. Tu einfach, was ich sage. Die Telefone funktionieren hier nicht richtig. Ich weiß gar nicht, wie dein Anruf durchgekommen ist. Geh nach Hause! Ruf die Polizei an! Sag ihnen, sie sollen herkommen!«
»Mom, Augenblick – fliegst du denn heute nicht zurück?«
»Das bezweifle ich. Ich bin im Airport Camelot Hotel.«
»Du machst mir Angst, Mom. Da ist doch was Schlimmes passiert. Das merk ich doch!«
»Du brauchst keine Angst zu haben. Aber geh nach Hause! Ruf die Polizei an!«
»Mom?«
Die Verbindung bricht ab, und Karen starrt auf den Bar-Caddy mit den Ananasstückchen, Orangenscheiben und Maraschinokirschen zum Garnieren. Sie erinnert sich an ihren Studentenjob als Kellnerin. Gordy, der Barbesitzer, hatte ihr erklärt, Garnierungen seien die Lunge eines Restaurants, die alle Verunreinigungen und allen Dreck aus der Luft saugen und das Raumklima erfrischen würden. »Diese Garnierungen sind Gottes kleine Müllschlucker«, hatte Gordy gesagt. »Also Frischhaltefolie drüber, und zwar ein bisschen fix !« Und so kam es, dass Karen zum Frischhaltefolienjunkie wurde und sich nun dabei ertappt, wie sie leicht vertrocknete Cocktaildekorationen in Frischhaltefolie wickelt, während sie an Aufruhr denkt, an Plünderer, an liegengebliebene Autos, am Boden bleibende Flugzeuge und Nahrungsmittelverknappung. Sie entdeckt ihr Spiegelbild in dem Spiegel hinter den Barflaschen. Ihre Haare sind wirr, als hätte sie sie bloß mit angefeuchteten Fingern zurechtgezupft. Wie selten kommt es vor, dass wir – in der Regel im öffentlichen Raum – einen Blick auf unserSpiegelbild werfen und wir uns so sehen, wie uns Fremde sehen. Unter dem Spiegel steht ein Glas mit Beef Jerky, das aussieht wie Streifen von sonnengetrocknetem Landstreicher. Wie können Menschen so ein Zeug bloß essen?
Vom Computer auf der anderen Seite des Raums ruft Rachel herüber: »Öl steht jetzt bei theoretischen neunhundert Dollar pro Barrel. Aber in Wirklichkeit gibt es keins mehr zu kaufen. Und … Und jetzt ist meine Internetverbindung weg.«
Karen ruft: »Versuch’s mit dem Fernseher!«
Die schöne, aber unheimliche Rachel geht rüber zu dem Apparat, um an dessen Knöpfen herumzufummeln. Karen hört die beiden Männer an etwas Schwerem zerren, mit dem sie die hintere Tür verbarrikadieren wollen.
»Ich verschaff mir mal einen Überblick, was es in diesem Laden an Essbarem gibt«, erklärt Karen.
Rachel erwidert in ihrer tonlosen Weiße-Mäuse-Züchterinnenstimme: »Ja, eine Bestandsaufnahme des Kalorienvorrats in unserem Umfeld ist eine gute Idee.«
Eine rasche Überprüfung ergibt, dass die Bar über keine Küche verfügt und sich im Speiseschrank Obstscheiben, Beef Jerky und zehn Kilo Barsnacks mit Cajun-Aroma befinden, bestehend aus Erdnüssen, Brezeln, Sesamsticks, Knuspermais, gesalzenen Kürbiskernen, Chili-Reiscrackern und Sojanüssen, oder wie Karen es in ihrer neugewonnenen, survivalorientierten Geisteshaltung betrachtet: Hülsenfrüchte, Getreide und Samen – ideal für das Überleben in Zeiten des Krieges.
Sie entdeckt einen Stapel neuer, luftdicht verschließbarer Rubbermaid-Behälter und fängt an, die Lebensmittel darauf zu verteilen. Sie empfindet diese Aufgabe als seltsam beruhigend. Ihr kommt in den Sinn, dass die ganze Welt völlig anders aussieht, wenn man sich einer konkreten Aufgabe widmet – irgendwie fokussierter. Während sie eine Schüssel ausspült, denkt sie: Die meisten von uns erleben dochnur plus/minus ein Dutzend interessanter Momente im Leben; der Rest ist Füllmasse. Jetzt gerade , denkt sie, fühlt sich das Leben wie einer dieser wachen Momente an, ohne irgendwelche Zusatzstoffe oder einen Ballast. Mein Universum ist ins Unermessliche gewachsen! Die Welt ist voller Wunder und Risiken, und mein Leben ist eine Kette magischer Momente, eine Folge sich offenbarender Geheimnisse. Sie fühlt sich wie in Trance.
Karen erinnert sich an einen anderen Moment
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