Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Nippissing. Aber gestern habe ich meinen Glauben verloren und heute Morgen den kompletten Renovierungsfonds der Gemeinde gestohlen, dann bin ich in ein Flugzeug gesprungen und hier gelandet.«
»Im Ernst?«, fragte Rick.
»Jepp. Zwanzig Riesen.« Luke nippte an seinem Scotch.
»Also«, sagte Rachel, »genaugenommen sind Sie jetzt arbeitslos?«
»Jepp.«
»Können Sie uns von irgendetwas erzählen, was Sie durch Ihren Job als Kleinstadtpastor gelernt haben?«
Ein seltsamer Ausdruck trat in Lukes Gesicht – eine Mischung aus Amüsement und Erleichterung. »Es kommt mir vor, als hätte ich über ein Jahrzehnt darauf gewartet, dass mir jemand diese Frage stellt.« Er zögerte einen Moment, als wolle er seine Gedanken ordnen, und sagte dann: »Na schön. Erstens, wenn man auf der Arbeit ist und jemand geht einem auf die Nerven, muss man ihn bitten, etwas zu spenden. Man muss immer eine Spendenbüchse und Spendenumschläge in der Schreibtischschublade haben. Dann nerven sie einen nie wieder. Das funktioniert wirklich.«
»Und was noch?«
»Was noch? Okay, die Chancen sind recht hoch, dass man sich jedem überlegen fühlt, mit dem man zusammenarbeitet – aber wahrscheinlich denken die anderen über dich genauso. Außerdem schlagen mehr Ehemänner, als man glauben würde, mit vollen Weichspülerflaschen auf ihre Frauen ein.« Luke starrte an die Decke, während er seine Litanei fortsetzte. »Schrecklich gut aufgelegte Frauen haben meistens Probleme, schwanger zu werden. Dank des Internets haben zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Heteromenschen deutlich mehr Sex als Schwule. Und ich glaube, ich kann das wohl auf die allgemeine Formel bringen, dass zu viel Freizeit ein Danaergeschenk ist. Die Menschen sind nicht dazu geschaffen, mit einem Leben ohne feste Struktur zurechtzukommen.«
»Was sonst noch?«, fragte Rachel.
»Was sonst noch … Hier ist noch was: Mit zwanzig weiß man, dass kein Rockstar mehr aus einem wird. Mit fünfundzwanzig weiß man, dass man es weder zum Zahnarzt noch zu sonst etwas Anständigembringen wird. Und mit dreißig beginnt sich die Dunkelheit auf einen herabzusenken – man fragt sich, ob einem je ein erfülltes Leben beschieden sein wird, von Wohlstand und Erfolg ganz zu schweigen. Mit fünfunddreißig weiß man im Grunde, was man für den Rest seines Lebens zu erwarten hat, und ergibt sich in sein Schicksal.«
Luke brach ab und strich mit dem Finger über den Rand seines Glases. »Wisst ihr, am Schluss hatte ich es so unendlich satt, immer und immer wieder von denselben öden Sünden zu hören. Man sollte meinen, das wäre ganz interessant, ist es aber nicht. Könnte nicht bitte mal jemand eine achte Todsünde erfinden, um ein bisschen Stimmung in die Bude zu bringen?«
Karen unterdrückte den Impuls, ihn zu unterbrechen.
»Warum«, fuhr Luke fort, »leben die Menschen eigentlich so lange? Was würde es schon für einen Unterschied machen, ob man mit fünfundfünfzig stirbt oder mit fünfundsechzig, fünfundsiebzig oder fünfundachtzig? Diese zusätzlichen Jahre … Wozu sollen die gut sein? Warum leben wir weiter, obwohl nichts Neues mehr kommt, nichts Neues gelernt und nichts Neues weitergegeben wird? Mit fünfundfünfzig ist man praktisch am Ende der eigenen Geschichte.«
Luke leerte sein Glas. »Also, mir tun die Leute am meisten leid, die irgendwann mal wussten, was Tiefsinn ist, aber ihre Fähigkeit zu staunen verloren haben oder dagegen abgestumpft sind, die spürten, wie ihre Emotionen schwanden, sich aber nicht darum scherten. Ich denke, das ist das Schlimmste: sich um den Verlust nicht scheren.«
Rachel meinte: »Das heißt, Sie haben Mitleid mit sich, fürchten sich aber zugleich vor sich selbst.«
»Ja.«
Einen Moment herrschte Schweigen, dann fragte Rachel: »Und was haben Sie aus Ihrem Job gelernt, Rick?«
»Ich habe über mich gelernt, dass ich mir oft selbst mein größter Feind bin. Ich habe gelernt, dass ich lieber leide, als einem anderen recht zu geben. Ich habe gelernt, dass Versagen manchmal keineversteckte Chance ist, sondern einfach zu mir dazugehört. Ich habe gelernt, dass ich niemals reich sein werde, weil ich Reiche nicht mag. Ich habe gelernt, dass du ein totaler Scheißtyp sein kannst, und trotzdem klebt deine Seele immer noch an dir. Seelen sollten das Recht haben, sich zu verdrücken, sobald man gewisse Anstandsregeln übertritt.«
»Noch etwas, das Sie speziell durch Ihren Beruf gelernt haben?«, fragte Rachel.
»Ich will mich hier
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