Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
in ihrem Leben, der ihr ebenso bedeutend erschienen war: als ihr Mann ihr den Heiratsantrag machte. »Ein Ring ist wie ein Heiligenschein für den Finger. Von nun an werfen wir nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Schatten. Du hast mir meine Einsamkeit gestohlen. Ich will dich nicht verlieren.« Während sie Reste des Knabberzeugs aus einem weißen Behälter schüttelt, denkt Karen daran, dass man sich genauso schnell entlieben wie verlieben kann und dass sich zu entlieben zweifellos ein ebenso bedeutender Moment im Leben ist.
Ein sorgevoller Gedanke meldet sich: Wird Casey nach Hause gehen? Wird sie die Polizei erreichen? Und wenn ja, wird in Flughafennähe genügend Polizei vorhanden sein, um in einer Welt ohne Öl die Sicherheit aufrechtzuerhalten?
Von draußen vor der Glastür kommt ein knallendes Geräusch. Karen und Rachel schauen hoch und erstarren. Herr im Himmel, da draußen ist der Heckenschütze . Karen geht auf die Tür zu, wie man sich etwa, sagen wir, Madonna in einem Restaurant nähern würde – es könnte eine Belohnung winken, möglicherweise aber auch eine schallende Ohrfeige. Sie guckt über dem Zigarettenautomaten durch einen Sehschlitz zwischen den zusammengeknüllten Tischdecken hindurch und sieht, wie ein altes rotes Auto aus den 1980ern durch den engen Gehweg zwischen den Gebäuden rast und Warren nur haarscharf verfehlt – den armen, unseligen Warren, der jenseits der verbarrikadierten Tür in einer Lache seines eigenen Bluts mariniert wird. Warren, Teil einer nun längst versunkenen Welt, die vom Öl angetrieben wurde. Schon wahr, Warren hat ausgesehen wie der TypMann, der am Wochenende Strände mit einem Metalldetektor abgeht, in der Hoffnung, dort verlorengegangene Eheringe zu finden, aber trotzdem hat er das nicht verdient … halt, stopp! Für einen Moment wacht sie aus ihrer Trance auf. Irgendwo da draußen sitzt ein durchgedrehter Heckenschütze! Sie zieht sich rasch von der Tür zurück und schaut zu Rachel hinüber; der Fernsehbildschirm ist von hier aus nicht zu sehen. Sie sagt: »War nur ein Auto. Keine Ahnung, wer drin saß.«
»Regt sich irgendetwas im Hotel?«
»Nein.«
Karen kehrt an ihren Platz an der Theke zurück und kaut auf einem Orangenscheibchen. Okay, Karen, schön, dein altes Leben ist jetzt passé – kein Rumsitzen mehr am Empfangstresen, keine destabilisierten Seelen mehr, die kommen und gehen, während du auf einem Aeron-Stuhl sitzt und Elektronen mit einem Stock herumscheuchst. Dein neues Leben, kaum zehn Minuten alt, ist traumgleich und dennoch hyperreal – es ist wie einer dieser plastischen Träume, die man morgens kurz vor dem Aufwachen hat, der intensivsten Schlafphase des Gehirns. Vorbei die Achtstundentage, an denen du Büroluft atmen musst, die riecht, als würden irgendwo in der Nähe fünfhundert Blatt holzfreies Schreibmaschinenpapier bei kleiner Temperatur in einem Ofen geröstet. Keine Nachmittage mehr, an denen dir die Zeit wie totgeboren erscheint. Arbeit hat niemals den einzigen Lebensinhalt eines Menschen ausmachen sollen, aber warum glauben so viele von uns das Gegenteil?
Karen stellt sich den Safeway bei ihr zu Hause vor – wahrscheinlich schon zur Gänze geplündert. Und Casey? Mit der wird schon alles in Ordnung sein. Und vielleicht wird ja auch der Flughafen bald wieder aufgemacht. Das muss er doch. Und wenn es eine Woche dauert, so wie nach 9/11, sie würde schon nach Hause kommen. Sie hatte irgendwo gehört, dass es für den Planeten das Beste wäre, wenn alle für fünf Jahre einfach mal dort blieben, wo sie waren: Schluss mit der ständigen Mobilität, kein heilsamer Tapetenwechsel, keinePetro-Ferien mehr, nein, schlicht und einfach einem Flecken treu bleiben.
Luke und Rick kehren aus dem hinteren Gebäudeteil zurück. »Durch die Tür kommt keiner mehr«, sagt Rick. »Höchstens mit einem Panzer.« Er ruft zu Rachel hinüber: »Irgendwelche Neuigkeiten?«
»Ich schätze, momentan ist kein Benzin zu kaufen, egal zu welchem Preis. Und ich krieg den Fernseher nicht an.«
Die Männer stellen sich zu beiden Seiten des Vordereingangs auf und schauen, ob sich draußen etwas tut. »Nichts«, sagt Luke. »Nur Warren.«
Rick späht hinaus und sagt: »He, ich sehe einen Flieger, der gerade gestartet ist – ein Jumbo. Von der … Air France.«
»Ich schätze, das wird der letzte Flug dieser Maschine sein. Sie muss zurück in ihren Heimathangar«, meint Rachel.
Die Männer gehen zur Theke, wo Karen, die trotz der mutmaßlichen
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