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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Trotzdem, es geht immer noch um einiges anständiger zu als dort, wo ich herkomme.«
    »Was, in Chicago?«, sagte ich. »Das ist noch harmlos im Vergleich mit Baltimore.«
    »Ich rede von Orleans«, sagte Armstrong.
    Chip goss sich einen kleinen Gin ein. Er drehte sich um und lehnte sich an die Bar, seine Ellbogen auf dem Tresen. »Es ist schon komisch. Irgendwie machen die Deutschen Unterschiede zwischen Schwarzen und Schwarzen. Da verhalten sie sich ganz anders als gegenüber den Juden. Als schwarzer Amerikaner, oder wenn du ein ausländischer Student bist oder ein Opernsänger oder so was, wirst du ganz ordentlich behandelt. Sie wollen nicht, dass du wieder nach Hause fährst und dort schlecht über ihren kleinen Modellstaat redest. Aber wenn du ein schwarzer Deutscher bist,
ein Mischling wie der Junge hier –« Er warf einen Blick zu Hiero hinüber. »Tja, denen geht’s da so richtig dreckig.«
    »Die Musik geht vor die Hunde«, sagte ich. »Es gibt praktisch nur noch Wagner.«
    Chip runzelte finster die Stirn. »Wagner und das Horst-Wessel-Lied.«
    »Das Horst-Wessel-Lied?«, fragte Armstrong. »Was ist das?«
    »Das ist so eine Nazi-Hymne.«
    »Horst Wessel war ein Nazi«, sagte Chip. »Ein Nazi-Schläger und Ganove. Er hatte Ärger mit seiner Hauswirtin – sie wollte mehr Miete, oder hatte die Schnauze voll von ihm, irgendwas. Seine Freundin ging auf den Strich, glaub ich. Ich weiß die Einzelheiten nicht mehr so genau. Jedenfalls war diese Vermieterin die Witwe von einem Kommunisten. Na ja, und so gingen ein paar alte Kameraden des Ehemanns hinauf in Wessels Wohnung und erschossen ihn. So fing das Ganze an. Die Kommunisten stellten Wessel als einen Zuhälter und Ganoven dar – sie hatten eigentlich nur ein Stück Dreck beseitigt, darauf lief es hinaus. Aber die Nazis machten aus dem alten Schläger einen Märtyrer, einen Idealisten, der sein Leben fürs Vaterland geopfert hatte, und sie veranstalteten ein Riesenbegräbnis.«
    Während Chip sprach, öffnete Hiero die Wasserklappen seiner Trompete und blies das Instrument durch. Er sah mich düster an. Ich schaute weg.
    »Und die Hymne handelt von diesem Typen?«, fragte Armstrong.
    »Nein, er hat den Text geschrieben«, sagte Chip. Er sah mich an. »Weißt du, wie es geht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nur Die Fahne hoch .«
    Chip räusperte sich. Dann fing er an zu singen, wobei er mit den Fingern den Takt auf dem Tresen klopfte.
    Und da hob Hiero ganz lässig seine Trompete und fing an, eine beklemmende, nervöse Begleitung zum und gegen den Text zu spielen, die so klang, als machte sie sich klammheimlich über das Lied lustig.
    Armstrong sagte lange Zeit nichts. Dann ging er zur Bühne, nahm seine Trompete und setzte sie an seine aufgesprungenen Lippen. Er nahm Blickkontakt mit Hiero auf, sein ganzes Gesicht legte sich in Falten, und dann setzte er in die Begleitung ein.
    Mann, das war eine total neue Musik.
    Es war ein Klang wie von einer anderen Welt. Da spielte der alte Armstrong mit dem neuen, der reife Meister, der alles Unwesentliche hinter sich gelassen hatte, und der Junge mit den strahlenden hohen Cs, der seine Glissandi mit einer Leichtigkeit perlen ließ, als schnippte er Murmeln. Und Hiero schmetterte seine schimmernden Töne, dass sie wie Sonnenstrahlen auf der Oberfläche eines Sees funkelten, und Armstrong war das Wasser, tief und kein Ton ohne genaue Bedeutung. Hiero rief hinüber, seine Musik strebte zum Ufer; dort stand Armstrong und antwortete ihm. Ihre Trompetenstimmen klangen so nackt, so unverstellt offen, dass man fast Schuldgefühle bekam beim Zuhören, so als lauschte man heimlich an einer Tür. Nach einer Weile hörte Chip zu singen auf, sodass nur noch die beiden ineinander verflochtenen goldenen Klangstränge übrigblieben.
    Jetzt hörte ich es endlich auch. Ich hörte, wie verdammt gut der Junge wirklich war.
    Und ich hörte es mit blankem Hass.
    Armstrong brach ab. »Das ist Musik!«, schrie er. Er zog
sein weißes Taschentuch hervor und wischte sich über die schweißnasse Stirn.
    »Wie nur irgendwas«, murmelte ich, aber es klang säuerlich.
    »Ich schwör dir, kleiner Louis, diese Trompete hat noch nie so toll geklungen wie jetzt.« Armstrong hatte Fältchen um die Augen. »Hey«, sagte er zu mir, »übersetz es ihm.«
    »Louis findet, du warst echt gut«, sagte ich zu Hiero.
    Der Junge lächelte und zuckte die Achseln.
    »Sag ihm, er war bloß ein bisschen zu langsam zwischen den Versen«, sagte Armstrong.
    Scheiße,

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