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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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war.
    »Soll ich nicht?«, sagte ich endlich. Und dann in ganz nüchternem Ton: »Ich dachte, du hast das hier deswegen veranstaltet, um mir zu sagen, dass es aus ist, um Abschied zu nehmen. Das ist es, was ich den ganzen Abend lang verstanden habe. Stimmt das nicht?«
    Sie sagte lange nichts. Das Licht der Straßenlaternen entlang der Seine huschte über die ölige Brühe des Flusses. Ein dunkler Schleppkahn tauchte auf, durchnitt die Lichter und verschwand wieder flussabwärts. Ein Mann ging auf der anderen Seite der Brücke vorbei; seine Schritte hallten im Dreivierteltakt. Ich zog mein Jackett aus und legte es ihr über die Schultern.
    »Ist dir kalt? Willst du nach Hause?«
    Sie blickte auf. Sie zitterte. »Sag mir, dass du mich liebst.«
    »Nein.«
    »Sag’s mir.«
    Ich lächelte traurig. »Ach, Lilah. Du brichst mir das Herz.«
    Sie lehnte den Kopf an meine Brust, sah hinaus auf das träge fließende Wasser, und ich dachte plötzlich: Sid, Mann, wenn die Wahrheit nur immer so einfach, so klar wäre.
    Diese Nacht liebten wir uns in ihrem Zimmer. Es war erst das zweite Mal. Nachher schlief ich unruhig in ihrem schmalen Bett, ihr heißer Rücken an mich gepresst. Am Morgen, als das kalte Licht durch die schmutzigen Scheiben hereinströmte, konnte ich mich nicht erinnern, was ich geträumt hatte.
    2
    Endlich war der Tag da.
    Ich kam zu spät und wankte mit meinem Bass durch die Tür, als wäre ich betrunken.
    »Scheiße, Mann, bist du sicher, dass du nicht zu erschöpft bist zum Spielen?«, rief Chip von der Bühne. Er wandte sich an Armstrong. »Der arme Junge kriegt nicht genug Schlaf.«
    Hiero, dieser kleine Dreckskerl, grinste verschlagen.
    »Das ist offenbar ansteckend.« Armstrong lachte dunkel. »So wie es aussieht, muss es diese scheußliche Schlaflosigkeit sein, an der auch Delilah leidet. Hast du davon schon mal gehört?«
    Ich wurde rot. »Wo sind die anderen? Oder spielen nur wir?«
    Chip scharrte leise mit den Schuhen. »Nur wir. Wir spielen in kleiner Besetzung.«
    »Ich dachte, wir lassen erst mal alles Drumherum weg«, sagte Armstrong. »So kriegen wir ein engeres Verhältnis zu einander.«
    »Sid liebt enge Verhältnisse.« Chip feixte. »Und er spielt gern in kleiner Besetzung, am liebsten im Duett.«
    »Wahrscheinlich hat er nicht die geringste Ahnung, wovon du redest«, meinte Armstrong grinsend. »Wahrscheinlich versteht er kein Wort.«
    Ich stieg mit zitternden Knien auf die Bühne. Sie jagte mir blanke Angst ein. Das da war immerhin Louis Armstrong, ein Musiker, der sogar im Liegen einen Schatten warf. Und der blödelte da mit Chip herum, als ob ihre Mütter zusammen Babysöckchen gestrickt hätten.
    Es war ein kleines Kellerlokal. Nur die Lampen hinter der Bühne waren an, die Tische im Zuschauerraum waren zur Seite geschoben, die Stühle standen umgedreht auf den weißen Tischtüchern. Jemand hatte den Boden gekehrt und kleine Häufchen Dreck und Abfall an einer Seite des Raum liegen lassen.
    Chip tupfte ein paarmal sacht auf das Fell seiner Snaredrum, um den Klang zu testen. Ich warf Hiero einen wütenden Blick zu. Lässig hielt er Armstrongs zweite Trompete in Höhe der Oberschenkel, den dünnen kleinen Finger schräg von den Ventildrückern weggestreckt.
    Armstrong schaute in die Runde. »Old Town Wrangler? In B-flat?«
    Hiero zuckte die Achseln.
    »Bist du so weit, Sid?«, fragte Armstrong.
    Meine Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet.
    »Klar.« Chip lächelte. »Zähl ein, Mann.«
    Und ohne ein Wort, nur mit leichtem Nicken gab Arm
strong den Takt vor, und dann ging es los. Chips Schlagzeug klang ganz sauber und klar, ich spürte, wie mein Bass ganz gemütlich losmarschierte und sich im Keller des Stücks einrichtete, und in meinem Gesicht breitete sich ein entspanntes Lächeln aus. Dann setzte der Junge ein, frech, scharf, strahlend.
    Und schließlich, erst ziemlich spät, kam Armstrong dazu. Ich war schockiert. Das klang überhaupt nicht nach schmetterndem Blech. Es war eher wie ein lässiges, heiteres Trällern, so als schaute er einer schönen Frau auf der Straße nach, einfach so im Vorbeigehen, ohne dass seine Schritte ins Stocken gerieten. Er spielte so vollkommen gelassen und unangestrengt, dass ich Gänsehaut bekam.
    Er hatte seinen Stil total verändert. Er war nicht mehr der Akrobat des spektakulären hohen C, der verrückte Virtuose, der hart an der Grenze des Spielbaren herumturnte, so hoch oben, dass die Trompete schon fast wie eine Flöte klang. Er war zur Ruhe

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