Spiels noch einmal
gekommen, erwachsen geworden, in seiner Musik klang reine Poesie – es war die Stimme eines alten, alten Musikers, der, fern von allem Exzess, jedem einzelnen Ton genau das gibt, was nötig ist, und nicht mehr.
Ich konnte es kaum glauben. Hiero, Chip und ich spielten so harmonisch zusammen, so eng aufeinander abgestimmt, dass man meinen konnte, ein einziger Typ machte Musik mit drei verschiedenen Instrumenten. Mann, es war einfach cool.
Aber dann fing es an.
Zuerst wusste ich gar nicht recht, was es war. Vielleicht ein kurz verzögerter Ton, eine Stockung im Takt meiner großen Zehe, aber von da an war plötzlich dieses Knistern im Bauch weg, der Bass trampelte nur noch plattfüßig dahin.
Ich war dabei, mit diesem blutleeren Gezupfe alles kaputtzumachen, und versuchte angestrengt, wieder in die Spur zu kommen.
Chip hinter seinem Schlagzeug schaute mich scharf an, als ob er sagen wollte: Mann, du spielst, als hättest du zwölf Daumen. Und er hatte recht, ich konnte es hören . Und dann war ich auf einmal wieder im Takt, und die Klangfarbe stimmte, und alles war wieder in Butter. Armstrongs Trompete hob sich, er sah den Jungen an und trällerte melodisch immer weiter. Hiero antwortete hell schmetternd. Chip strich seine Felle so sanft, als redete er mit einer Tussi.
Und dann fingen meine verdammten Finger auf einmal wieder zu stolpern an.
»Was soll das, Mann?«, zischte Chip wütend. »Scheiße, reiß dich zusammen.«
Ich fühlte, wie mir Schweißtropfen in die Augen rannen. Ich schüttelte den Kopf. Armstrong warf uns einen Blick zu und spielte einfach weiter.
Wir machten Pause. Armstrong wischte sich die Stirn mit einem weißen Taschentuch. Er wandte sich uns zu, grunzte und musterte uns der Reihe nach.
Mir schoss das Blut ins Gesicht.
»Das war ganz okay«, sagte er schwer atmend. »Das war gut. Ich denke allerdings, wir sollten noch ein bisschen daran arbeiten.« Er wandte sich an Hiero. »Du – wie hab ich dich genannt? Little Maestro? Mannomann, du bist ein richtiger Little Louis , echt wahr. So wie du gespielt hast, daran ist nichts zu verbessern. Du hast es drauf. Du warst perfekt.«
»Der Junge hat den Swing.« Chip grinste.
»Du aber auch, Mann«, sagte Armstrong. »man könnte
meinen, du reibst dir den eigenen Bauch, wenn man dich so spielen hört.«
»Ja, wenn wir gut sind, sind wir gut.« Ich lächelte breit.
Aber Armstrong grunzte nur, stieg von der Bühne und ging zur Bar.
Scheiße, ich stand da über meinen Bass gebeugt, im Gesicht dieses kranke Dauergrinsen, das ich gar nicht mehr abstellen konnte. Aber meine Hände zitterten.
»Jetzt erzählt mal ein bisschen, Jungs«, rief Armstrong von der Bar her. Er hielt ein kaltes Glas an seine Stirn gedrückt. »Wie ist das mit diesem deutschen Neandertaler mit dem lächerlichen Schnurrbärtchen, der immer so komisch bellt, wenn er seine Reden schwingt.«
Chip wischte seine Trommeln ab. »Er fragt nach Hitler«, sagte er zu Hiero, ohne aufzublicken.
»Hitler.« Hiero nickte mit düsterer Miene.
»Was genau willst du wissen?«, fragte Chip. »Es ist echt schlimm in Deutschland, echt schlimm. Die Leute sind alle total eingeschüchtert.«
»Hast du auch den Eindruck, Griffiths?«, fragte Armstrong.
Ich stieg von der Bühne, dankbar, dass er das Wort an mich richtete. »Klar«, sagte ich. »Keiner traut sich den Mund aufzumachen, nicht mal beim Zahnarzt. So was wie Recht und Gesetz gibt’s da überhaupt nicht mehr.«
»Trotzdem haben sie immer noch ein Justizministerium«, rief Chip.
Hiero schaute mich an, aber ich übersetzte es ihm nicht. Ich war verstimmt und verbittert, und der Anblick seines blöden Gesichts, das mich aus dem Halbdunkel anstarrte, war nicht geeignet, meine Laune zu heben.
»Aber ihr seid doch dort einigermaßen zurechtgekommen, oder?«
»Nein«, sagte ich. »Einer aus unserer Band ist verhaftet worden.«
Armstrong nickte. »Ach so, ja, ich hab davon gehört. Der Pianist. Wie hieß er?«
»Butterstein. Paul Butterstein.«
»Das tut mir wirklich leid«, murmelte er.
Wir zuckten hilflos die Achseln. Es tat immer noch weh.
»War die Lage hier nicht auch angespannt?«, fragte Chip nach einer Weile. »Lilah hat davon erzählt.«
Armstrong nickte. »Die Franzosen haben auch ihre Ängste. Wir sind nur eine davon. Aber ich mache mir heute nicht mehr allzu große Sorgen deswegen. Es gab mal eine Zeit, da mussten wir immer nachzählen, ob noch alle Schwarzen in der Band da waren, bevor wir auf die Bühne stiegen.
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