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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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pfiff und rauschte so brutal laut, dass ein paar Frauen sich die Finger in die Ohren steckten. Sie hatten ihre Zigaretten noch in den Händen – es sah aus, als wären ihre Haare in Brand geraten. Wir verstanden kein Wort von dem, was im Radio gesagt wurde – es war alles auf Französisch –, aber wir sahen die angespannten Gesichter ringsum, hörten das schockierte Grunzen der Leute und dann die ernüchternde Stille. Offenbar kündigten sich schlimme Ereignisse an.
    »Was meinst du, was ist los?«, fragte ich Chip.
    Er zuckte nur die Achseln. »La guerre, la guerre«, murmelte er.
    Der Typ neben uns packte mich am Arm und gab uns Zeichen, die Klappe zu halten. Der Radiosprecher redete immer noch. Und dann war es plötzlich, als kämen alle wieder zu sich, wachten auf aus ihrer Trance; Stühle wurden gerückt, ein Gemurmel erhob sich. Eine Frau in der Ecke stand auf und kreischte unverständliches Zeug. Leute drängten herein, fragten nach Einzelheiten, die sie nicht hatten verstehen können. Das ganze Café geriet in helle Aufregung, die Menschen waren aufgewühlt und voller Schrecken.
    Irgendwo in dem Tumult ging eine Flasche zu Bruch. Dann noch eine. Die dichte Menge drückte gegen unsere Tische, Leute stießen uns an.
    Chip lächelte müde und hob sein Glas mit Gin. »Auf das Ende der Welt, Mann.«
    Wir tranken.

    Es war der Anfang der Westoffensive. Die Krauts stießen durch Belgien, Holland und Luxemburg vor. Jede Stunde veränderten sich die Linien der Front. Am nächsten Tag erfuhren wir von Lilah, dass die britische Regierung zurückgetreten war und ein Typ namens Churchill jetzt die Geschäfte führte. Die Franzosen schickten Truppen in den Norden, und die Briten eröffneten eine Front gegen die Deutschen. Dann setzten die Krauts Fallschirmjäger hinter unseren Linien ab. Scheiße. Jede Nacht heulten die Luftschutzsirenen, Suchscheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit. Wir hasteten hinunter in den Keller und saßen dort frierend und erschöpft an die Mauer gelehnt.
    Einige Tage später wurde gemeldet, dass die Deutschen Rotterdam bombardiert hatten. Angeblich waren fünfundzwanzigtausend Zivilisten in der brennenden Stadt umgekommen. Ganz Paris empörte sich, die Gesichter der Leute waren bleich, als wären sie auch schon tot. Alles ging schnell wie der Blitz. Dann fiel Holland. Während ein Radiokorrespondent aus Flandern berichtete, hörte man im Hintergrund Bomben einschlagen. Am nächsten Tag wurde gemeldet, dass die Briten Ziele im Ruhrgebiet bombardiert hatten.
    Wieder einen Tag später hörten wir, dass die französischen Armeen auf dem Rückzug aus Belgien waren, die Krauts marschierten in Brüssel ein. In der Nacht darauf flog die Royal Air Force einen Angriff auf Hamburg und machte die Reeperbahn dem Erdboden gleich. Ich musste an Ernst denken; ich kämpfte dagegen an, aber es half nichts. Die ganze verdamm
te 9. Armee der Franzosen wurde in Le Cateau gefangen genommen. Antwerpen fiel. Und die Deutschen fuhren dann einfach die Kanalküste entlang, und die Engländer hauten zu Tausenden in Panik aus Dünkirchen ab.
    Und dann begann unser eigener Krieg.

    An einem Dienstagmorgen stürzte Delilah in die Wohnung, Hiero im Schlepptau. Sie hastete zu den Fenstern, zog einen Vorhang zur Seite und schaute im Raum umher, als suchte sie etwas.
    Chip, der auf dem Sofa geschlafen hatte, hob den Kopf. »Was soll das?«, knurrte Chip gereizt.
    Ich wälzte mich herum, aber die Sonne blendete mich, und ich zog mir das Kissen übers Gesicht.
    »Sie treiben alle Deutschen in der Stadt zusammen«, sagte sie. Sie ließ den Vorhang los, es wurde wieder schummrig. »Wer weiß, dass Hiero hier wohnt?«
    »Frag Sid.« Chip gähnte.
    Ich zuckte mürrisch die Achseln. »Kein Mensch. Nur wir und die Jungs von der Band.«
    Chip strich sich das Kinn. »Die Bug weiß es. Aber die verrät es niemandem.«
    Delilah überlegte. Der Junge sagte nichts.
    »Was ist mit den anderen Leuten hier im Haus?«, fragte ich. »Die kennen ihn auch, sie haben ihn oft genug im Keller gesehen, wenn Bombenalarm war.«
    Delilah runzelte die Stirn. »Die denken bestimmt, er ist Afrikaner. Ich werd ihnen sagen, er kommt aus dem Senegal.«
    Ich spürte ein leichtes Zittern unter der Haut, nur ganz leicht. Es war das erste Mal seit Wochen, dass Delilah mich direkt angesprochen hatte. Scheiße, es tat weh.
    »Was passiert mit ihnen?«, fragte Chip.
    »Mit wem?«
    »Na, mit den Krauts. Werden die eingesperrt? In irgendein Lager oder so?«
    Sie

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