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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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Schulter, während wir weitergingen. »Ich weiß, wie es ist, wenn es so endet. Das Herz tut einem weh.«
    Ich war noch halb beduselt von dem Gin am Morgen und schwankte ein bisschen. »Ich hab kein Herz«, sagte ich verbittert. »Wahrscheinlich ist das auch der Grund dafür, dass ich als Musiker nichts tauge.«
    Ein alter Mann saß am Fluss und angelte. Ich fragte mich, wie er bei dieser Hundekälte was fangen wollte, aber er saß jedenfalls da.
    Armstrongs kiesige Stimme wurde noch dunkler und weich wie ein Pelzteppich. »Es gibt alle möglichen Begabungen, Sid. Du bist ein prima Bassist.«
    »Aber das reicht eben nicht.«
    »Du weißt, was du draufhast. Lass dir von niemandem was anderes einreden.«
    Ich schüttelte angewidert den Kopf.
    »Und überhaupt spielt das gar keine so große Rolle«, fuhr Armstrong fort. »Du glaubst es, aber das stimmt nicht. Ein Mensch besteht nicht aus einer einzigen Begabung. Little Louis braucht dich. Und für Jones bist du so was wie ein Bruder. Du hast die Begabung, andere zu deinen Verwandten zu
machen, zu deinem Fleisch und Blut. Na ja, mit der Musik ist es anders, die hat ihren eigenen Wert, denke ich. Aber Musik ist nicht alles im Leben.«
    Scheiße, Mann, dachte ich. Sie ist alles, was für mich zählt.

    Etwas in mir veränderte sich nach diesem Gespräch. Diese rasende Wut in mir war weg. Die Kränkung löste sich irgendwie in Luft auf, und ich fühlte mich leichter, mehr traurig als verletzt, aber weniger einsam. Nicht dass wir wieder Freundschaft geschlossen hätten, das nicht, aber wir, ich, Chip und der Junge, gingen irgendwie gelassener miteinander um. Jeden Morgen sah ich sie fortgehen, um mit Armstrong und der Band zu arbeiten, und am Abend kamen sie hundemüde zurück, und jedes Mal fühlte ich ein bisschen weniger Bitternis. So als lernte ich mit der Zeit, dass wir trotz allem zusammengehörten.
    Mit Delilah war es anders. Ich konnte sie immer noch nicht anschauen, ohne dass mir ganz elend wurde. Aber ich war nicht mehr wütend, auf niemanden mehr.
    Und der Sitzkrieg ging immer weiter. Eines Nachts im Februar, als ich nach Hause ging, zuckte am Himmel plötzlich etwas auf wie ein Blitzlicht, es krachte, und dann wurde es wieder still, furchterregend still. Am Morgen las dann Lilah in der Zeitung, dass es eine französische Bombe gewesen war, die auf der anderen Seite der Seine in der Rue Mirbel eingeschlagen und ein Café zerstört hatte. Zwei Frauen waren ums Leben gekommen, einem Mann hatte es ein Bein abgerissen.
    Dann begannen die Einschränkungen. In den Bäckereien wurden nur noch eine Sorte Brot und Croissants angeboten. An bestimmten Wochentagen hatten die Metzgereien ge
schlossen, an anderen Tagen gab es keine Süßigkeiten zu kaufen. Was uns vor allem zu schaffen machte, waren die Dienstage, Donnerstage und Samstage, an denen kein Alkohol ausgeschenkt werden durfte.
    Aber selbst das riss uns nicht aus unserem Schlaf. Wir legten einfach Vorräte an und nahmen unseren Rotwein mit, wenn wir ausgingen, wie zu einem Picknick. Wir lebten wie in Nebel gehüllt und verschliefen die Zeit, die langsam verging.
    Im Frühling kam der Regen, und mit ihm der Krieg.
    3
    Er kam an einem schönen Maimorgen nach Paris. Die Luft war warm, die Seine begann in der Hitze zu stinken, die Bäume an den Boulevards wurden grüner. Überall auf dem Pflaster trippelten Tauben.
    Ich saß mit Chip im Coup und trank Gin. Keiner von uns redete. Wir waren unausgeschlafen, denn im Morgengrauen hatten uns Sirenen und das Donnern von Flugabwehrgeschützen geweckt, die mit Leuchtspurmunition schossen. Es war der erste Bombenangriff bei Tageslicht gewesen, den wir erlebt hatten. Ich war jetzt so weit, dass ich dachte: Vielleicht ist das schöne Leben jetzt zu Ende. Vielleicht ist jetzt Schluss mit den langen Nächten und Frauen und großen Freundschaften und dieser Musik, vielleicht war das jetzt vorbei. Vielleicht wollte das Schicksal mir sagen: Mann, schau, dass du wegkommst.
    Den ganzen Winter über waren Chip und der Junge meistens erst spätnachts mit hängenden Schultern von der Arbeit
an der Aufnahme nach Hause gekommen. Aber jetzt war Louis schon seit Wochen irgendwo im Süden auf Tour, und offenbar war diese Platte immer noch nicht fertig. Sie waren nicht deprimiert, sondern nur müde, erschöpft von der Arbeit an einem Projekt, an das sie glaubten, dessen Ende aber nicht absehbar war.
    Das Café Coup war dicht besetzt. Plötzlich drehte jemand das Radio auf, der verdammte Kasten

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