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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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ich: Mann, wenn das die Deutschen wären, die würden doch rufen oder einfach die Tür eintreten. Jedenfalls würden sie nicht klopfen und stumm rumstehen, als hätten sie den ganzen Tag lang Zeit.
    Trotzdem rührte ich mich nicht. Ich stand da wie versteinert.
    Irgendwann nach einer halben Ewigkeit rief ich: »Hello? Who there?«
    Keine Antwort. Nichts.
    Ich holte tief Luft, zog den Riegel zurück und öffnete die Tür.
    Draußen war niemand.
    Ich trat hinaus, schaute übers Geländer in den Hof hinunter. Nirgends eine Menschenseele. Aber ich hatte niemanden weggehen hören, und das alles machte mich ziemlich nervös. Im Treppenhaus roch es nach Staub, feuchtem Gummi und gebratenen Zwiebeln.
    Und da sah ich es. Unter dem Fußabstreifer schaute eine Ecke eines braunen Umschlags heraus. Ich zog ihn hervor,
schaute mich ängstlich um und ging dann wieder zurück in die Wohnung.
    Die Reisedokumente. Noch bevor ich den Umschlag aufriss, wusste ich, dass es nur Hieros Papiere sein konnten. Und tatsächlich, da stand es in roter Schrift: Hieronymus Thomas Falk. Der Name stand klar und deutlich auf einem französischen Ausreisevisum und auf einer Einreiseerlaubnis für die Schweiz.
    Eine Hochgefühl kam über mich, die ganze Welt erschien mir plötzlich strahlend hell, mir war, als hätten wir alle einen Freifahrtschein aus der Hölle bekommen. Ich lehnte mich an das Sideboard, mir zitterten die Knie. Ich spürte einen Kloß im Hals, mir kamen die Tränen. Ich blinzelte heftig.
    Aber dann zuckte ich zusammen. Ich blätterte hektisch noch einmal die Dokumente durch, tastete in dem Umschlag herum. Es war kein amerikanischer Pass dabei. Auch keine Visa für eine Reise nach Lissabon. Scheiße. Auf gar keinen Fall konnte der Junge mit uns in die USA fahren. Unsere Wege würden sich trennen. Wir würden nicht mehr täglich das halb verschreckte, halb sarkastische Gesicht des Jungen sehen. Scheiße.
    Und wir würden keine Platte aufnehmen. Die Sache war gestorben.
    Ich warf einen Blick in den Salon. Der Junge stöhnte leise im Schlaf. Ich überlegte nicht lange, steckte die Papiere wieder in den Umschlag, ging in die Küche, schaute mich hektisch um. Dann rückte ich den Eisschrank von der Wand weg, steckte den Umschlag dahinter, und schob den Eisschrank wieder an seinen alten Platz. Und die ganze Zeit sagte ich mir: Mach dir nicht ins Hemd, Sid, das kriegst du schon hin. Wichtig ist jetzt nur, dass der Junge wieder auf
die Beine kommt. Wir brauchen nur ein paar Stunden Zeit, dann haben wir eine richtig gute Aufnahme.
    Als ich wieder in den Salon kam, war Hiero wach. Er wandte mir sein mageres Gesicht zu. »Was war das für ein Krach?«, fragte er schläfrig. »Sind die Deutschen da?«
    »Ach, nichts, mir ist nur ein Küchenmesser runtergefallen. Hast du Durst?«
    »Ich dachte echt, die Deutschen kommen.« Er schloss die Augen.
    Ein paar Minuten später stürzte Delilah herein, so aufgeregt, dass sie nicht mal die Tür hinter sich zumachte. »Wo sind sie?«, fragte sie atemlos. »Wo sind sie, Sid?«
    »Mann, bin ich erschrocken. Was ist denn los? Wo ist Chip? Ist was passiert?«
    Sie stutzte. »Was? Nein, mit Chip ist alles in Ordnung. Ich bin nur hergekommen, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe. Wo sind die Visa?«
    Mein Mund wurde ganz trocken. »Die Visa?«
    »Ja, die Visa.« Sie schaute suchend umher.
    Ich machte ein dummes Gesicht. »Du meinst unsere Visa?«
    »Lass den Quatsch, Sid. Hieros Visa. Lass mal sehen. Ich bin zufällig auf der Straße dem Jungen von Giles begegnet. Er sagte, er hat sie hier abgeliefert. Vor ein paar Minuten.«
    Ich zuckte die Schultern, als kapierte ich kein Wort von all dem, was sie da redete.
    Hiero auf dem Sofa brabbelte etwas Unverständliches. Sie warf einen besorgten Blick zu ihm hinüber. »Du hast die Papiere nicht? Wirklich?«
    »Meinst du, ich lüg dich an? Hat der Junge echt behauptet, er hat sie mir gegeben?«
    Sie runzelte die Stirn, schaute zur offenstehenden Tür. »Er hat angeklopft, und dann hat er sie unter den Fußabstreifer geschoben, sagt er.« Sie stürzte zur Tür, kniete sich hin, hob die Kokosmatte hoch und fuhr mit der flachen Hand über die Dielen, als könnten die Papiere unsichtbar geworden sein.
    Dann blickte sie auf und starrte mich mit einem ganz sonderbaren finsteren Ausdruck an.
    »Was?«, sagte ich. »Schau mich nicht so an, verdammt. Vielleicht hat er die Wohnung verwechselt. Vielleicht hat er an der falschen Tür geklopft.«
    Aber sie war schon weg. Ich

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