Spiels noch einmal
dran?«
»Schieb mal die Flasche rüber.«
»Ich glaube, ich bin dran. Bin ich dran?«
Aber ich hörte gar nicht mehr zu. Denn Hiero kam von hinten durch die schweren roten Vorhänge. Sein Afro war auf der linken Seite flachgedrückt, als ob er geschlafen hätte. An seinem Zeigefinger hing seine Trompete; das Ding blitzte wie ein prächtiger Edelstein.
Und dann, verdammt, trat Delilah heraus. Sie lachte und schäkerte mit ihm und blinzelte ihm andauernd mit so einem doofen Gesichtsausdruck zu, als hätte sie überhaupt nicht gemerkt, dass wir da saßen. Der Junge zog einen Mundwinkel hoch, als hätte er einen Krampf im Kiefer, als wäre ihm die Sache peinlich. Dann setzte er die Trompete an die Lippen, blies ein schmetterndes hohes C und ging dann in winzigen kleinen Abständen die Tonleiter runter. Jeder Ton so intensiv, dass einem die Ohren wehtaten.
Er setzte die Trompete ab, legte eine Hand an die Stirn und spähte zu uns hinüber. »Was treibt ihr da?«
Paul fing an zu lachen. »Nichts Besonderes«, rief er.
»Wir reden über dich«, sagte Chip und grinste dreckig.
Ich wurde rot.
Ich beobachtete Delilah dort auf der Bühne. Sie trug denselben goldenen Stoff um den Kopf wie gestern. Die Pailletten glitzerten wie unzählige Augen.
»Das ist doch was«, murmelte ich. »Sie sieht aus wie eine Königin.«
»Mehr wie eine Wahrsagerin auf dem Jahrmarkt«, sagte Chip.
»Eine, die lauter Katastrophen vorhersagt.« Paul lachte leise.
»Ach, Blödsinn. Sie sieht einfach gut aus.«
Chip musterte mich düster. »Das, was sie da auf dem Kopf hat, sieht aus wie Müll. Meinst du, die würde so was tragen, wenn sie nicht müsste ?«
Ich blinzelte verwirrt. »Was?«
»Mach die Augen auf, Mann. Das Ding, das sie da rumgewickelt hat, ist ein Geschenk .«
»Was?«
»Kommt dir der Stoff nicht bekannt vor?«
Der bronzene Schimmer, die zwinkernden Pailletten – jetzt fiel es mir plötzlich wieder ein. Es war der alte Vorhang, mit dem wir das Fenster im Aufenthaltsraum verhängt hatten. Ich bemühte mich um eine unbewegte, gleichgültige Miene, aber die Enttäuschung und der Ärger in mir wurden übermächtig; ich fühlte, wie mein Gesicht sich immer mehr zusammenzog.
»Was zum Teufel soll das?«, murmelte ich. »Haben wir jetzt keinen Vorhang mehr?«
»Der Junge hat ein Stück von einer alten Plane drübergenagelt.« Paul lächelte. »Das tut’s auch, sogar besser. Es kommt nicht mehr so viel Licht durch.«
Chip rülpste.
Er hat den letzten Schluck Schnaps in mein Glas geschüttet, als ich nicht hingeschaut hatte – der scheußliche Satz klebte an der Zunge wie Schlamm. Ich würgte und hustete ins Glas. Chip johlte. »Weiter so, Mann. Huste sie dir aus der Seele.«
Mir war schwarz vor den Augen, ich dachte, ich werde blind.
Der Junge blies seine verdammten Tonleitern, quäkte und trötete sie rauf und runter, immer wieder. Man kriegte Gänsehaut davon. Ich schloss die Augen, dann öffnete ich sie. Die Wände schwankten immer noch ein bisschen.
»Ich geh aufs Klo«, grunzte Chip. »Fass meine Karten nicht an.«
Paul rührte sich nicht.
Delilah bückte sich und zog ihre Stöckelschuhe aus. Sie stand barfuß auf der Bühne. Ich war erstaunt, wie klein sie plötzlich war. Wie ein Kind, dachte ich bitter.
»Ich muss mit dir reden«, sagte Paul leise. Er hob den Kopf, und seine Augen wirkten sehr klar, sehr blass. »Sid? Hey, Sid.«
»Ich hör dir zu.«
»Ich brauche Hilfe.«
»Gut, dass du’s endlich einsiehst. Du und Chip, ihr braucht dringend Hilfe.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, im Ernst.«
»Ich hab’s dir doch schon gesagt.« Ich beugte mich vor. »Ich nehm dir Inge ab, aber nicht Martha. Martha ist nicht mein Typ, Mann.«
»Ich hab was in der Wohnung gelassen«, murmelte. »Etwas, das ich unbedingt brauche. Ich kann nicht raus, um es zu holen. Und ich kann auch niemanden sonst drum bitten.«
»Frag Hiero. Er ist der Mann, der Träume wahr macht.« Ich spähte finster zu ihm hinüber. Er spielte immer noch Tonleitern. Delilah lehnte am Klavier und sah ihm zu.
Paul sah mich verwirrt an. »Hiero?«
Ich dachte an den Rat, den sie mir gegeben hatten. Was kann ein Kerl einem Mädchen schenken, damit sie schwach wird? Ich würde ihr jedenfalls keinen alten Stofffetzen schenken, den sie sich um die Haare wickeln konnte, das stand fest. Es musste was Bedeutungsvolles sein.
»Hörst du zu, Sid? Sid?«
Ich kehrte aus dem Nebel zurück, in den ich abgetaucht war. »Du hast etwas in deiner Wohnung
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