Spiels noch einmal
höflich.
»Um Gottes willen, nein. Das glaubt nur mein armer Sohn.«
Ernsts Gesicht wurde finster. »Du hast gedacht, wir würden in Berlin rumsitzen und warten wie kleine Kinder.«
Sein Vater setzte sich auf, seine Miene wurde härter, seine Augen wurden noch dunkler. Ich schluckte. »Es war mir egal, wie ihr wartet. Aber es stimmt, ihr solltet in Berlin auf meinen Anruf warten.«
Ernst blickte auf. »Du meinst, bis die Sache mit den Papieren geregelt war.«
Sein Vater ließ blauen Zigarrenrauch über seine Zunge rollen und blies ihn dann aus. Wieder fiel Asche auf den Teppich. Verdammte Scheiße, dachte ich, heb sie bloß nicht auf, Ernst.
Ernst spannte die Kiefermuskeln an, aber er blieb sitzen.
Von Haselberg erhob sich, einen sonderbar ironischen Ausdruck im Gesicht. Er trat an seinen Schreibtisch, und nahm einen dicken braunen Umschlag aus der obersten
Schublade. »Sie müssen nur noch unterschreiben«, sagte er zu mir. »Es ist alles komplett: Fotos, Dokumente, Erklärungen von Franzosen, die für Sie bürgen; wir haben sogar Reichsfluchtsteuer bezahlt. Sie können ungehindert nach Frankreich ausreisen.« Er zog einen Füllfederhalter mit Monogramm aus seiner Brusttasche und blickte hinüber zu seinem Sohn. »Den Füller spende ich auch noch, Mr Griffiths. Als Mäzen.«
Er kam durchs Zimmer und überreichte mir den Umschlag und den Füller.
Ich hielt den Atem an. Mann, was für ein Gefühl! In diesem Umschlag steckten die Papiere, die uns das Leben retteten. Ich nahm sie heraus und blätterte sie durch. Es waren mindestens dreißig Blätter, alle mit winzig kleiner Schrift bedruckt. Ich wusste gar nicht genau, was ich eigentlich suchte.
»Mr Falk hat einen nagelneuen deutschen Pass bekommen«, sagte von Haselberg.
Ich blickte auf und nickte.
»Lass mal sehen«, sagte Ernst. Er nahm den Packen, blätterte darin, zog die Papiere von Fritz Bayer heraus und dann die von Paul Ludwig Karl-Heinz Butterstein. »Die beiden werden nicht gebraucht«, murmelte er.
»Ah, ja, euer jüdischer Pianist. Ich nehme an, der Lauf der Dinge hat ihn eingeholt.«
»Der Lauf der Dinge.« Ernst starrte seinen Vater lange an. »Wenn du dir nicht so viel Zeit gelassen hättest, würde er noch leben.«
Sein Vater nickte. »War er sehr begabt?«
»Was spielt das für eine Rolle? Er war ein Mensch , Vater.«
»Er war großartig«, sagte ich wütend. »Und er ist nicht tot.«
Ernst sah mich an. Er gab mir die Papiere zurück und ich steckte sie wieder in den Umschlag. Es waren drei Bündel. Ernst starrte mit undurchdringlicher Miene seinen Vater an.
»Danke«, sagte er nach einer Weile. »Ich weiß, dass dir das nicht leichtfällt.«
Von Haselberg lachte trocken, als wollte er damit die Worte unter den Teppich kehren. »Mr Griffiths«, sagte er und stand auf. »Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrer Musik.«
»Danke.«
»Eins noch.« Er sah mich ernst an. »Sie werden sofort abreisen. Haben Sie mich verstanden?«
»Okay, klar.«
»Ernst, sei so freundlich und schicke Rummel zu mir.«
Der Alte wandte sich von uns ab, setzte sich an seinen Schreibtisch und nahm wieder das Blatt hervor, das er weggesperrt hatte. Ich warf noch einen Blick durch den Raum, dann ging ich.
Ernst schloss leise die Tür.
Auf dem Korridor warf ich Ernst einen wütenden Blick zu. »Wo zum Teufel sind deine Papiere?«, fauchte ich. »Hier in dem Umschlag sind sie nicht.«
Er atmete langsam aus und ließ die Schultern hängen. Dann ein fast unhörbares Hüsteln.
»Ernst?«
Aber ich konnte es kaum aushalten, ihn anzusehen. Mit einer feinen Geste knöpfte er sein Jackett zu und strich seine Krawatte glatt. Sein Gesicht war so ruhig wie Wasser in einer Tasse.
»Ich fahre nicht mit«, sagte er leise.
»Was?«
»Ich fahre nicht mit«, wiederholte er im genau gleichen Ton.
Ich schluckte. Ich stand immer noch auf der Leitung. »Was soll das heißen? Wir spielen mit Armstrong, Mann. Louis Armstrong .«
Er runzelte leicht die Stirn und schaute weg zum Fenster hinaus. Ich hatte ihn noch nie so nahe dran gesehen, ein starkes Gefühl zum Ausdruck zu bringen, wie jetzt. Und dann kapierte ich es endlich.
»Scheiße, du hast das gewusst ! So hast du ihn rumgekriegt: Du bleibst hier, damit wir wegkönnen.«
Er schüttelte den Kopf. »Mach dich nicht lächerlich.«
Es war, als wäre er einfach nicht fähig, sich irgendeine Lüge auszudenken. Er stand einfach da mit gesenktem Kopf, die langen bleichen
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