Spiels noch einmal
ihr da gemacht?« Ich setzte ein künstliches Grinsen auf und lachte, aber es klang irgendwie erstickt. Nervös klimperte ich mit zwei Tasten des Klaviers.
Chip warf mir einen irritierten Blick zu.
Sie runzelte die Stirn, bevor sie ihren Satz zu Ende sprach: »Wer, meinst du, lief uns da über den Weg?«
Chip zuckte die Achseln. »George Washington. Nein, warte, Abe Lincoln.«
»Jo Baker«, sagte sie. »Josephine Baker.«
Toll, echt toll!, dachte ich mit einer Bitternis, die mich selbst überraschte. Ich fall gleich tot um vor lauter Bewunderung.
Delilah fingerte an den Klunkern um ihr Handgelenk. Sie trug lange weiße Handschuhe. Eine Welle von Zärtlichkeit kam in mir hoch, als ich sah, wie befangen sie war. Aber ich unterdrückte das Gefühl. Ich wollte mich ärgern.
Ich klappte knallend den Deckel des Klaviers zu. Sie schaute kurz zu mir her und wandte sich dann wieder Chip zu. »Diese Jo Baker kann einen ganz schön aus der Bahn werfen. Die gibt dir das Gefühl, du bist bloß eine Staubfluse, ein Fussel von Lous Anzug.«
»Na ja«, sagte Chip, »du bist alles mögliche, aber ein Fussel bist du bestimmt nicht.«
Sie musterte ihn argwöhnisch. »Und wie sie in der Stadt rumstolziert mit ihren lächerlichen Schwänen und Leoparden und was sie sonst noch alles spazierenführt. Was die sich einbildet! Die schaut durch einen hindurch, als wäre man aus Glas. Hast du sie schon mal singen gehört, Chip?«
»Ich hab sie singen gesehen .« Er lächelte. »Das ist nicht dasselbe.«
»Und?«
Er lachte leise. »Sie ist sehr begabt, finde ich nach allem, was ich gesehen habe.«
Lilah verzog das Gesicht. »Sie ist nur eine billige Kopie von Addie Hall. Hast du Addie schon mal gehört? Die macht das gleiche schon seit Jahren, nur viel besser als Jo.«
Dann hob sie langsam ihre grünen Augen und sah mich tief verletzt an.
Klar, jetzt war eigentlich ich dran. Ich hätte sagen müssen: Ach, Lilah, du bist zehnmal besser als sie. Und das wird die Welt schon bald erkennen, und dann bist du berühmt, du wirst schon sehen.
Aber ich sagte es nicht. Ich weiß nicht, aber ich glaube, mit
dem Mitleid ist es wie mit den Muskeln: Man muss es ständig üben, damit es fit bleibt, sonst krampft es sich einfach zusammen, wenn man es braucht.
An diesem Tag forderte der Botschafter der USA uns auf, nach Hause zu fahren; alle Amerikaner, die nicht nachweisen konnten, dass sie wichtige Dinge in Frankreich zu erledigen hatten, sollten das Land verlassen. Der Aufruf wurde im Radio und in den Zeitungen veröffentlicht, jeder wusste es, alle Leute redeten darüber. Überall in Paris wimmelte es nur so vor Amerikanern, die in aller Eile noch Souvenirs einkaufen wollten, bevor sie abreisten. Aber was ging uns das an? Wir hatten hier wichtige Dinge zu erledigen. Was konnte es Wichtigeres geben, als mit dem alten Louis Musik zu machen?
Ich ging mit Delilah essen, nur wir beide, in einem Bistro an der Seine. Das Lokal war früher ein Weinkeller gewesen, und der Geruch von alten Weinfässern drang durch die knarzenden Bodendielen. Man saß bei Kerzenlicht an wackligen Tischen unter einer dicht bewachsenen Pergola. Die Luft in dem dämmrigen Raum war kühl. Sie fing gleich an, von dem Aufruf der Botschaft zu reden.
»Ich fahr nicht zurück«, sagte ich. »Chip auch nicht.«
»Solltest du aber«, sagte sie. »Wieso willst du hier bleiben? Für wen oder für was soll das gut sein?«
»Reist Louis ab?«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht sofort, aber er wird es tun, da bin ich mir sicher.«
»Und du fährst mit ihm?«
»Ja, wie immer.«
Ich sah ihr in die Augen. »Und was ist mit dem Jungen? Willst du Hiero einfach hierlassen?«
Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Ich weiß nicht, ich werd mir was einfallen lassen.«
»Sicher findest du eine Lösung. Du bist ja nicht der Typ, der einfach so verschwindet.«
Sie zuckte zusammen.
Ich bereute es sofort. Aber die Sache am Nachmittag lag mir immer noch wie ein Stein im Magen, ich musste die ganze Zeit daran denken, wie sie Arm in Arm mit dem Jungen in Jeans Laden gekommen war. Wir saßen an einem Tischchen an der Wand, und ich lehnte meine Schulter an die kalten Ziegel und starrte Lilah an. Ihre Wangenknochen, die sich scharf im Kerzenlicht abzeichneten. Ihren langen graziösen Hals. Wie schön sie war.
Sie senkte den Kopf, drehte das Glas vor sich auf dem Tisch langsam im Kreis. Sie schaute an mir vorbei.
»Ich wollte nicht weg«, sagte sie leise. »Das weißt du doch,
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