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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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hab nichts gesagt«, rief ich.
    »Was? Ich versteh dich nicht. Komm rauf.«
    Ich holte tief Luft und wuchtete die blöde Kiste hoch. Ich war entschlossen, sie nicht zu fragen, was in Berlin passiert war. Nichts mehr mit ihr anzufangen. Auf gar keinen Fall. Ich staunte, als ich endlich oben war und die Wohnung sah: überall ruhige, helle Farben, cremeweiße Wände mit Stuckornamenten, graue Decken, eine lange Reihe Fenster, durch die kühles Licht einfiel. Ich stellte die Kiste ab und rief nach Delilah, aber sie zeigte sich nicht. Also ging ich wieder runter, um unsere Instrumente in die Wohnung zu schaffen. Ich stellte alles auf dem schimmernden Eichenparkett im Salon ab.
    Dann gingen die Türen des Esszimmers auf, und Delilah trat herein, die Hände links und rechts an den Türflügeln. Sie trug ein blaues Kleid, das sich eng an ihre Hüften schmiegte, und ein purpurrotes Tuch um den Kopf. Ihre Haut wirkte weich, wund, samtig in dem bleichen Licht. Ein schwacher Duft von Zucker und Mandeln umwehte sie, als hätte sie gerade Kuchen gebacken.
    »Hi«, sagte ich schüchtern.
    »Entschuldige.« Sie lächelte zerstreut. »Ich hab mich gerade umgezogen. Meinst du, ihr kommt hier zurecht? Einer von euch kann auf dem Sofa schlafen.« Sie schaute umher. »Mein Schlafzimmer ist da vorn.« Aber sie wich meinem Blick aus.
    Ich setzte mich hin, stand wieder auf. Und dann war mir plötzlich alles egal, was ich mir vorgenommen hatte.
    »Lilah«, sagte ich, »hör zu.«
    Sie räusperte sich, nestelte verlegen an ihrem Turban. Sie kam keinen Schritt näher. »Ich weiß, es ist nur ein Notbehelf, aber –«
    »Ich rede nicht von der Wohnung. Die Wohnung ist okay.«
    Sie lächelte unsicher.
    Mein Kopf fühlte sich komisch an, wie in Watte gepackt. »Weißt du, Lilah, ich warte drauf, dass du es mir erzählst. Oder muss ich dich fragen?«
    » Was fragen?«
    »Was meinst du mit ›was‹?«
    Sie legte die Hände in Hüfthöhe ineinander, stand da und sah mich an.
    Ich fluchte stumm. »Wenn du behaupten würdest, du wärst Lilahs Zwillingsschwester, würde ich es glauben. Oder wenn du sagst, du hast in Berlin mit dem Auge gezwinkert und prompt ist eine Brieftaube gekommen und hat dich hierhergeflogen. Du bist überhaupt nicht echt . Ich habe das Gefühl, du bist nicht du.«
    Als ich von Berlin redete, verfinsterte sich ihr Gesicht.
    »Die haben dich festgenommen«, sagte ich, »und da hast du dich einfach in Luft aufgelöst und bist nach Paris abgehauen, oder was? Weißt du, wie das aussieht?« Ich drehte mich um und trat ans Fenster, ging wieder zurück. »Und du hast überhaupt nichts dazu zu sagen?«
    »Ich hatte eine Fahrkarte, Sid. Ich bin nicht festgenommen worden. Hat Hiero es dir nicht erzählt?«
    »Hiero?«
    »Hiero, ja, dein Freund. Er hat dir nicht gesagt, dass ich abgereist bin?«
    »Er hat es gewusst?«
    »Natürlich. Oder denkst du, ich hau einfach ab?« Plötzlich kam ein Ausdruck von Traurigkeit über ihr Gesicht. »Ach, Sid«, sagte sie leise, als ob sie es erst langsam kapierte.
    Ich schüttelte den Kopf. »Der Junge hat gewusst, dass du abreist?«
    Ich setzte mich hin. Der Junge hatte gewusst, wie sehr ich litt. Er hatte es gesehen, wir waren ja die ganze Zeit zusammen. Und er hatte keinen Ton gesagt.
    Es fiel mir schwer, es zu glauben; vielleicht war einfach nur etwas schiefgelaufen, vielleicht hatte er etwas missverstanden? Aber dann erinnerte ich mich an seine ausweichenden Blicke, die Art, wie er immer wieder finster die Stirn gerunzelt hatte, an dieses fürsorgliche Beschützergehabe, das er plötzlich entwickelt hatte, und ich dachte, Scheiße, er ist eben trotz allem ein Deutscher, total gefühllos.
    »Sid?«, sagte Delilah. »Was denkst du? Sidney?«
    Sie stand da und sah mich an. Etwas in mir wurde dunkel, ich kann es nicht erklären. Es war nicht die Eifersucht, nicht der Verrat, nicht einmal mangelndes Vertrauen, ich weiß nicht. Es war, als hätte ich zu sehr an ihr gelitten, um noch einmal einen Versuch zu machen.
    Ich schob den Stuhl zurück und wollte aufstehen.
    Aber Delilah kam zu mir herüber und legte eine kühle schlanke Hand an meinen Hals. Ich erstarrte. Das Licht wirkte plötzlich gedämpft. »Sid«, sagte sie wie von weit her. »Wo willst du hin, hmm?«
    Und dann beugte sie sich langsam vor und küsste mich.

    In diesem Moment fing ich an, ihn zu hassen. Den Jungen, meine ich. Hiero. Diesen kleinen Judas.
    Ich erzählte Chip nichts davon, ich weiß nicht, warum. Vielleicht weil ich es genoss,

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