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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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und Rauschen.
    Hiero redete nicht mehr auf der Straße und in den Bars. Mir war das nur recht. Wenigstens das bleibt mir erspart, dachte ich, kleiner Scheißkerl . Dann verstummten auch die Radios. Ich wünschte mir nur noch, ich könnte einschlafen
und in einer anderen Wirklichkeit wieder aufwachen. Denn ich hatte gesehen, wozu die Krauts fähig waren, und machte mir keine Illusionen. Sie würden Frankreich mit Haut und Haaren auffressen. Manchmal ging ich an die Seine, schaute hinunter auf das braune Wasser und dachte an Paul und Ernst. Plakate tauchten auf, schäbig angezogene Männer mit langen Plakatbürsten klebten sie an die Mauern: Knirpse mit Gasmasken, lodernde Flammen, blonde Mütter, die ihre Kinder in Luftschutzbunker scheuchten. Ich sah, wie Angestellte in Geschäften Verdunklungsvorhänge an den Schaufenstern anbrachten, und fühlte nichts als blanke Anspannung.
    Denn es sah so aus, als passierte überhaupt nichts. Die Krauts führten ihren Krieg in Polen weiter, und die Franzosen warteten einfach nur. Es war der Anfang des Drôle de guerre, der sich den ganzen tristen Winter bis in den Frühling hinein fortziehen sollte.
    Wir blieben in Montmartre, in der Gegend rund um Delilahs Wohnung, hingen im Café Coup de Foudre rum oder streiften, die Mantelkrägen hochgeschlagen, ziellos durch die grauen Straßen, manchmal zwanzig Meilen am Tag. Immerhin waren es Straßen, in denen der Jazz zu Hause gewesen war. Praktisch alle, denen diese Musik etwas bedeutete, hatte es hierhergezogen. Wir kamen an billigen Pensionen vorbei, an verlassenen Wohnungen, in denen früher mal Swingmusiker gespielt hatten, am heruntergekommenen Rat Mort, an der mit Brettern vernagelten Tür des Big Apple, an der Stelle vor dem Bricktop, wo Bechet und McKendrick stockbetrunken mit Pistolen auf einander geschossen hatten. In der Rue Pigalle und der Rue Fontaine hielt nur der Hall unserer Schritte den Takt der Zeit. Wir waren mager gewor
den wie Windhunde, wir bestanden nur noch aus Hoffnung, Haut und Knochen.
    Und irgendwann dachte ich nicht mehr so viel an Ernst und Paul, sondern mehr daran, wie es wäre, mit Armstrong Musik zu machen, und auch an Lilah. Nicht dass meine Angst verschwunden wäre, das nicht, aber wenn man immer nur trauert und trauert und trauert, dann stirbt auch das schließlich ab. Man muss sich deswegen nicht schuldig fühlen. Ich denke, der Mensch ist einfach nicht dafür gemacht, unendlich treu an irgendwas festzuhalten, nicht einmal an seinem eigenen Schmerz.

    Delilah und ich waren für den nächsten Abend zum Essen verabredet, aber jetzt hatte ich Angst davor. Sicher, sie war mir keine Rechenschaft darüber schuldig, wo sie ihre Nächte verbrachte, aber trotzdem, dieser Kuss hatte doch was zu bedeuten.
    Und dann fing sie auch wieder damit an, den Jungen zu betütteln, und schenkte ihm jede Menge Aufmerksamkeit, als wollte sie ihn irgendwie aus dem Bunker seines Schweigens hervorlocken. Und er kam auch wirklich rausgekrochen: Chip erzählte mir beim Mittagessen, dass der Junge am Vormittag auf dem Markt allerlei Kinkerlitzchen für sie gekauft hatte, billige Blechringe, Schals, die sie sich um den Kopf wickeln konnte, und solche Sachen.
    Ich knirschte mit den Zähnen, als ich das hörte.
    »Sie hat dich gesucht, Mann«, sagte Chip.
    »Sie war auch dort? Auf dem Markt?«
    »In voller Lebensgröße.«
    »Was für ein Zufall«, sagte ich finster.
    Am Nachmittag sah ich sie dann endlich wieder. Wir wa
ren in dem Musikladen von Jean, wo alle Jazzfans von Paris einkauften, und suchten nach einer obskuren Platte, die Chip unbedingt haben wollte. Es war ein dunkles, verstaubtes Kellerloch, in das nur durch dreckige Fenster hoch oben unter der Decke ein bisschen Tageslicht einsickerte. Überall hingen Blechblasinstrumente wie altes Spielzeug von der Decke.
    Die Tür ging auf, und da stand sie, stöckelte lachend die Stufen hinunter, eingehakt in den mageren Arm des Jungen. Mir wurde ganz schlecht bei dem Anblick.
    Chip lugte hinter einem der Instrumente hervor. »Hey, Hiero, du hast da was an deinem Ärmel.«
    »Mann«, sagte Delilah, »mir zittern immer noch die Knie.«
    »Echt? Ist Hiero so gut?« Chip grinste.
    Der mickrige kleine Judas machte seinen Arm frei und kam auf uns zu. Er wirkte verlegen. Ich wandte mich ab, trat an ein Klavier.
    Lilah lachte. Ihre Zähnchen schimmerten wie Reiskörner in ihrem dunklen Mund. »Wir waren vorhin an der Place Pigalle, und wer, meinst du, lief uns da –«
    »Und, was habt

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