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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Umkleidekabine, in den Schutz der Dunkelheit. Manager Heinz Neuhaus blieb mit verschränkten Armen auf der Ersatzbank sitzen. »Wir müssen mit dem Präsidenten reden«, sagte der Mannschaftsarzt Doktor Raab zu Neuhaus. Raab war gleichsam Verwaltungsratmitglied. Neuhaus reagierte nicht.
    Der Präsident, Paul Märzheuser, stand schon vor der Kabinentür und redete auf Heinz Höher ein: Noch ist nichts verloren, wir werden weiterkämpfen. Heinz Höher registrierte mehr den Klang des Trosts als die genauen Worte. In der Kabine stand der Verwaltungsratsvorsitzende Wolfram Weber, dem es gelungen war, Kurt Jara vom FC Valencia nach Duisburg zu lotsen. Vor dem Spiel und in der Halbzeit durfte vom Vorstand außer dem Präsidenten niemand mehr in die Umkleidekabine, das hatte Heinz Höher wie schon in Bochum durchgesetzt. Zuvor hatten sich oft bis zu zehn Funktionäre zur Mannschaft in die Kabine gedrängt, mehr als einer mit einer Zigarette im Mund. Nun war Weber zurück im alten Revier und sagte, sichtlich erregt, das Gegenteil von Präsident Märzheuser: Ob Höher nicht besser zurücktrete. Er denke gar nicht daran, entgegnete Heinz Höher.
    Am Ausgang warteten mehr Zuschauer auf ihn als gewöhnlich. Nach jedem Heimspiel gingen die Spieler und Trainer zwischen den Fans hindurch zu ihrem Auto oder dem Mannschaftsbus. 1963 hatten sie hier mit den Zuschauern ein Bier getrunken. Jetzt schrieben sie Autogramme. Heinz Höher senkte den Kopf und legte einen Schritt zu. Die Leute waren aufgebracht.
    Er fuhr mit Doris direkt nach Hause, obwohl die Mannschaft nach jedem Heimspiel im Klubheim in Meiderich gemeinsam zu Abend aß. Er verpasste, wie der Präsident die vier wichtigsten Spieler, Bernard Dietz, Gerhard Heinze, Manfred Dubski und Herbert Büssers, zur Lage und zum Trainer befragte. Der Trainer gebe ihnen kein positives Signal mehr, nicht einmal fachliche Hilfe. Neulich habe er nur seinem Kapitän Dietz einen Zettel zugesteckt, damit dieser die Aufstellung vorlese. Auf der Heimfahrt verfielen Heinz Höher und seine Frau in Schweigen, und diesmal konnte sie seine Stille verstehen.
    Beim Abendessen imitierten die Eltern und die drei Kinder die Normalität. Reichst du mir mal bitte das Brot, was habt ihr denn heute Nachmittag gemacht, inszenierte Sätze, die die eisige, bedrohliche Stille nicht brachen, sondern das Nichtausgesprochene nur betonten.
    Das Telefon klingelte, und Heinz Höher wunderte sich nicht, dass Paul Märzheuser am Apparat war.
    Bin ich entlassen?
    Herr Höher, ich möchte Sie nur bitten, morgen um zwölf auf der Geschäftsstelle zu erscheinen.
    Also bin ich entlassen.
    Herr Höher! Wir haben seit fünf Spielen nicht mehr gewonnen, wir stehen auf einem Abstiegsplatz. Da ist jeder in der Kritik, Sie wie ich. Überlegen Sie sich bis morgen um zwölf, was Sie der Kritik entgegenzusetzen haben.
    Das Gespräch zog sich, Märzheuser sagte nicht, dass Höher entlassen werde, und sagte auch nicht, dass er weitermachen durfte. Er war Anwalt. Heinz Höher war irgendwann so gereizt, dass er rief: Und im Übrigen habe ich das Gespräch aufgezeichnet!, und auflegte.
    Natürlich hatte er das Gespräch nicht aufgezeichnet. Er wusste auch nicht, was er mit solch einer Aufnahme hätte beweisen können. Er hatte nur in seiner Hilflosigkeit versucht, sich zu wehren. Hatte er so seine Entlassung besiegelt? Das Telefon klingelte schon wieder.
    Dieter Kürten vom Aktuellen Sportstudio war dran. Er wollte hören, wie es Heinz Höher nach diesem Nachmittag gehe. Die Moderatoren des Sportstudios luden die Sportler meist persönlich ein und blieben oft in Kontakt, ihre Gespräche waren nicht richtig beruflich und nicht wirklich privat, aber auf jeden Fall auf einer Ebene, von öffentlicher Person zu öffentlicher Person.
    Heinz Höher erzählte Dieter Kürten, dass er fürchte, schon entlassen zu sein. Dann kam ihm eine Idee: Könnte nicht Kürten bei Märzheuser anrufen und raushören, was Sache war, vielleicht sogar – das sprach Heinz Höher nicht aus – für ihn vorsprechen?
    Als Heinz Höher auflegen wollte, rief Doris aus dem Hintergrund, sie wolle auch noch mal mit Herrn Kürten sprechen. Das war der schlimmste Tag, den sie in einem Fußballstadion erlebt habe, erzählte Doris Herrn Kürten, der mit seiner sanften Stimme und dem zurückhaltenden Lächeln der Liebling vieler Frauen im Sportstudio war. Aber vielleicht, sagte Doris, könne Herr Kürten noch etwas erreichen.
    Eine halbe Stunde bevor er live auf Sendung gehen

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