Spieltage
musste, hing Dieter Kürten mit dem Präsidenten des MSV Duisburg am Telefon und versuchte, vergeblich, etwas Definitives herauszuhören. Aber die Andeutungen eines Anwalts genügten.
In einem Fernsehstudio auf dem Mainzer Lerchenberg tickte unaufhaltsam eine Bahnhofsuhr vorwärts, exakt nach dem dritten Takt einer Begleitmelodie schwenkte die Fernsehkamera von der Bahnhofsuhr auf ein grünes Hinweisschild Das Aktuelle Sportstudio, Dieter Kürten, mit 44 jugendlich im dunkelblauen Anzug und dem silbernen Haar, wünschte merkwürdig betrübt »Guten Abend« und klärte sechs Millionen im Wohnzimmer schnell auf, warum »ich vor zehn Minuten ein bisschen deprimiert war«. Er habe ziemlich ausführlich mit Heinz Höher, dem Trainer, und Paul Märzheuser, dem Präsidenten des MSV Duisburg, telefoniert, und es sehe so aus, dass Heinz Höher nicht mehr sehr lange Trainer in Duisburg sein werde. Eine Minute und dreißig Sekunden, im Fernsehen eine Ewigkeit beziehungsweise eine Unmöglichkeit, erzählte Dieter Kürten die Geschichte seines Telefoneinsatzes und wie Frau Höher im Auto vor dem Stadion mit Watte in den Ohren gelitten habe. Er würde sich sehr freuen, schloss Kürten, wenn es in Duisburg wider Erwarten zu keiner Entlassung käme und wenn es den beiden, Heinz und Doris Höher, bald wieder besser ginge.
Zu seiner Entlassung erschien Heinz Höher nicht. Das Präsidium wartete am Sonntag, dem 10. Februar 1980, um zwölf Uhr vergeblich auf den Trainer und vollzog die Trennung in seiner Abwesenheit. Höher sei ein »General ohne Fortüne« gewesen, sagte Märzheuser den Sportjournalisten. Es brauche einen neuen Impuls.
Heinz Höher ging mit Clemens spazieren, dem neuesten Familienzuwachs, einem Bobtail. Eigentlich, sagte er sich, hättest du damit rechnen müssen, dass so etwas passiert. Aber er hatte nicht damit gerechnet. Er hatte ernsthaft geglaubt, als Trainer nie entlassen zu werden.
Der Karnevalsprinz kam ihm wieder in den Sinn, den er unmittelbar vor dem Anpfiff des Spiels gegen Schalke im Mittelkreis begrüßen musste. Er hatte sich mit Händen und Füßen gegen den Auftritt gewehrt, er mache sich doch lächerlich, wenn er in der prekären sportlichen Situation mit einem Narren auftrete, aber der Präsident und der Manager hatten ihm zum Mitmachen verdonnert. Mit den Karnevalsleuten dürfe man es sich nicht verspaßen.
Der Karnevalsprinz hatte ihm einen Karnevalsorden verliehen. Heinz Höher entschloss sich, die Medaille aufzuheben, sie würde ihn immer an seine erste Entlassung erinnern. Auf dem Orden stand das Motto: »Wenn Narren auf Reisen gehen«.
1980–1983
Das lange Haar weht nicht mehr
Morgens nach dem Aufwachen fiel der Blick auf die Zimmerdecke oder die Wand, und er sah das Nichts. Ein ganzer langer Tag lag leer vor ihm. Es machte ihn wahnsinnig, er benötigte morgens beim Aufstehen das Wissen, da war etwas zu tun. Heinz Höher ging zum Kühlschrank und trank morgens um acht erst einmal ein Glas Sekt. Aber danach war er, jeden Morgen wieder, immer noch arbeitslos.
Er ging einige Tage nach seiner Entlassung zum Arbeitsamt und ließ sich seinen neuen Status offiziell bestätigen. Mit dem Kindergeld und der Arbeitslosenhilfe kamen sie auf knapp 2000 Mark im Monat. In Duisburg hatte er 10000 verdient. Seine Mutter fiel ihm ein, Maria, die mit fast 90 noch immer zufrieden lebte und ihnen als Kinder gesagt hatte: Wer sich beklagt, erniedrigt sich.
Er würde sich mehr um die Kinder kümmern, sagte sich Heinz Höher, endlich hatte er Zeit für sie. Er schlug ihnen vor, Monopoly zu spielen, er fragte Markus und Susanne, 15 und 13 Jahre alt, ob er mal bei den Hausaufgaben draufschauen könne, aber da blieb immer eine Steifheit, das Gefühl, dass er eigentlich nicht gebraucht wurde bei den Hausaufgaben, dass er das eigentlich nicht konnte, den Kindern wirklich helfen. Mit Thomas ging es leichter, die Unbekümmertheit eines Fünfjährigen half, mit ihm konnte er einfach Ball spielen. Doris beobachtete Thomas und dachte daran, wie streng und beiläufig sie Markus und Susanne in den Sechzigern erzogen hatten. Ob es etwas mit dem verständnisvolleren Umgang zu Hause und im Kindergarten zu tun hatte, dass Thomas so lebendig und selbstbewusst war?
Heinz Höher schnappte sich Clemens und ging jeden Tag mit dem Hund laufen oder spazieren, das waren die besten Momente. Wenn er aus der Wirklichkeit flüchten konnte.
Aber dann klingelte das Telefon, seine Schwester Hilla war dran, und er konnte nur sagen:
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