Spieltage
Willst du Clemens sprechen? Ohne ein weiteres Wort mit seiner Schwester zu reden, reichte er den Hörer an Doris weiter.
Es wurde Frühling, die Bundesliga trat in die entscheidende Phase, der Abstiegskampf wurde verzweifelter, es mussten doch noch bei anderen Vereinen Trainer entlassen werden so wie er, es musste doch noch ein Präsident denken, dass er der richtige Mann war. Heinz Höher wartete. Von sich aus die Initiative zu ergreifen, sich in den Stadien sehen zu lassen, einen Spielervermittler einzuschalten, kam für ihn nicht infrage. Das sei stillos, sagte er sich und schützte sich damit vor der Frage: Könntest du es überhaupt, die Initiative ergreifen, von dir aus Präsidenten, Manager anrufen?
Im April 1980 erblickte er in der Zeitung das Bild eines erschöpften Trainers. Branko Zebec, in Jeans und Jeansjacke, saß mit verschränkten Armen auf der Trainerbank. Der Kopf war ihm auf die Brust gefallen, die Sonnenbrille, hinter der er seine Augen verstecken wollte, auf die Nasenspitze gerutscht. So verfolgte er beziehungsweise verpasste er das Spiel seines Hamburger SV bei Borussia Dortmund. Er hatte sich mit Rum, Wodka und Kognak an den Rand der Besinnungslosigkeit getrunken. Schon die Abfahrt der Mannschaft nach Dortmund hatte er verpasst, mit seinem Privatwagen wollte er hinterherfahren. Die Polizei griff ihn auf. Er hatte das Auto in Schlangenlinien über die Straße bewegt. 3,25 Promille maßen die Polizisten. Sie fuhren ihn persönlich nach Dortmund. Dort im Hotel trank Zebec weiter.
Etwas in ihm funktionierte noch, reflexartig sprang er während des Bundesligaspiels gelegentlich auf, schrie oder klatschte. Anlass zum Aufspringen, Schreien oder Klatschen bot das Spiel in jenen Momenten nicht. Zur Halbzeit brachte ihn Günter Netzer, der nun als Manager des HSV arbeitete, zum Mannschaftsbus und sperrte ihn dort zum eigenen Schutz ein. Schwerlich ließ sich noch so tun, als trinke der Trainer halt gerne einen; wie Hemingway eben.
Mit einem Schlag wurde aus Alkohol ein Problem. Im Spiegel und in der Welt am Sonntag erschienen lange Artikel über den Stress der Bundesligatrainer. Jeder Zweite ertränke ihn im Alkohol. Die Leser konnten über die phantastische Recherche der Journalisten staunen – und vielleicht auch darüber, wie viel vor Zebec’ Aussetzer in Dortmund schon bekannt gewesen war, ohne dass eine Zeile darüber geschrieben wurde. Zebec waren vor den Linsen der Fotografen schon acht Monate zuvor beim Auswärtsspiel in Bochum auf der Trainerbank ständig die Augen zugefallen. Nach einem Sieg über 1860 München war er auf der Pressekonferenz an der Aussprache des Wortes Vogelperspektive gescheitert, die Pressekonferenz musste abgebrochen werden. Das waren private Probleme, hatten die Sportjournalisten entschieden und sich allenfalls untereinander die besten Anekdoten von betrunkenen Trainern erzählt. Nun war es ein epidemisches Problem.
Der Trainer von Hertha BSC, Kuno Klötzer, der in seiner Trainerkabine einen Kühlschrank einrichten ließ, um stets Nachschub zu haben, gestand den Spiegel- Reportern: »Meinen Beruf kann man nur im Dschum ertragen.« Ein halbes Dutzend Bundesligatrainer wurde aufgeführt, die mit Pils und Schnaps die Nerven betäubten, ein anderes halbes Dutzend genannt, die im Trainerstress Herzinfarkte erlitten beziehungsweise denen Gallen-, Darm- und Magengeschwüre entfernt werden mussten. Branko Zebec blieb nach der Dämmerung von Dortmund Trainer des Hamburger SV. Er hatte die Elf 1979 zur deutschen Meisterschaft geführt und lag ein Jahr später wieder gut im Rennen. Er war der Maestro unter den Trainern, vor ihm spurten die Spieler. Auch wenn er manchmal im Training betrunken umfiel. Dann halfen ihm die Spieler auf die Beine, und weiter ging es.
Heinz Höher schnitt sich den Artikel aus der Welt am Sonntag über das Alkoholleiden der Bundesligatrainer aus. Er wurde darin als positives Beispiel der Stressbekämpfung genannt: »Heinz Höher, 41, früher Duisburg, spielt im Weitmarer Holz in Bochum mit Rentnern Schach.«
Um die totale Abwesenheit von Bundesligastress zu bekämpfen, ging Heinz Höher mit seinem alten Bochumer Spieler Jürgen Köper in Hagen Tennis spielen. Köper kam mit einem Ferrari. Den habe er von einem Bekannten in Schwierigkeiten übernommen. Auf der Fahrt versorgte ihn Köper mit dem neuesten Tratsch vom VfL. Die Mannschaft wurde mit dem neuen Trainer Helmuth Johannsen nicht warm. Sein Training sei von vorgestern, Läufe mit Medizinbällen
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