Spieltage
waren, erhoben sich, piepsig und schrill, Kinderstimmen: »Wir wollen Jara!« Doris Höher ging auf die Toilette und schloss sich vor den Rufen ein. Ihre Nerven machten das nicht mehr mit. In Bochum hatte es dann und wann auch schon dieses Geschrei gegen ihren Mann gegeben. Aber in Bochum hatte sie zwischen den Spielerfrauen, ihren Freundinnen, gesessen. In Duisburg war sie allein, selbst wenn sie neben den Spielerfrauen saß. Hier war sie die von außen gekommene Frau des strengen Trainers, zu der man besser auf Distanz blieb.
Sie verbrachte die gesamte zweite Halbzeit eingeschlossen auf der Toilette. Warum ging sie überhaupt noch zu den Spielen? Sie sollte nicht mehr ins Stadion kommen, sagte sie sich und wusste, beim nächsten Heimspiel würde sie wieder da sein und es wieder hassen.
Es war schon dunkel, Deutschland im November, als das Spiel gegen 17:20 Uhr unter den Pfiffen der 10000 Zuschauer mit 2:2 endete. Bernard Dietz hatte noch einen Elfmeter verschossen. Der Reporter des Aktuellen Sportstudios Rolf Kramer holte Jara und Mirnegg von der Haupttribüne und setzte sie für ein Interview auf die Ersatzbank. Kurt Jara hatte den Gürtel seines hellen Trenchcoats ganz eng geschnürt und versteckte die Hände auch im Sitzen tief in den Trenchcoattaschen vor der bissigen Abendkälte. Mirnegg schaute als stummer Zeuge zu, wie Jara, den Kopf in Konzentration auf den Boden gesenkt, sprach: »Ich habe es in den Zeitungen schon anklingen lassen, und zu dem Wort stehe ich: Mit dem Heinz Höher kann ich nicht mehr zusammenarbeiten. Entweder geht er oder ich.«
Das Grundproblem, fuhr Jara fort, sei doch: »Heinz Höher denkt zu viel und redet zu wenig.«
In den Duisburger Abonnementzeitungen nahm der Streit mehr und prominenteren Platz ein als die Schilderung des Spiels. NRZ - Sportredakteur Horst Leroi, der am Freitag Verständnis für die Disziplinarstrafe des Trainers gehabt hatte, schrieb am Montag: »Kann es sich ein Trainer erlauben, einen so exzellenten Spieler wie Kurt Jara draußen zu lassen? Ist die Sache wirklich so gravierend, wie Heinz Höher die Dinge darstellt?«
Präsident Paul Märzheuser ließ die Streithähne im Hotel Duisburger Hof zum gemeinsamen Mittagessen antreten. Märzheuser war Anwalt. Er stellte den Vorfall aus seiner Sicht dar, lud Spieler und Trainer ein, sich doch mal in die Haut des anderen zu versetzen, und auf einmal nahmen Jara und Mirnegg alles zurück, was sie gesagt hatten, auf einmal fand Heinz Höher viel Verständnis für die Empörung der Spieler nach seiner Maßreglung; er sei nicht nachtragend, man hätte sich schon vor dem Uerdingen-Spiel an einen Tisch setzen müssen.
»Bleibt nur hier, und sauft euch einen!«, rief der Manager des MSV, Heinz Neuhaus, dem Trainer und seinen zwei Spielern zu, als die Runde gegen 15 Uhr aufbrach. Die Sportreporter der Duisburger Tageszeitungen warteten schon im Hotelfoyer, um das Ergebnis des Friedensgipfels aufzunehmen.
Heinz Höher dachte daran, dass er, ähnlich wie nun Jara, als Flügelstürmer in Leverkusen auch einmal mit dem Weggang gedroht hatte, als ihn ein Trainer mit der Ersatzbank strafte. Damals, erinnerte sich Höher, hatten der Trainer, der Spielausschussobmann und er die alltägliche Rebellion eines jungen Mannes alleine geschlichtet, ohne dass Tausende Zuschauer den Kopf von irgendwem forderten, ohne dass die Zeitungen eine Zeile darüber schrieben.
Der Konflikt mit Jara – oder: der Eklat, wie der Streit in den Medien hieß – verschaffte Heinz Höher die Ehre, am folgenden Samstag ins Aktuelle Sportstudio eingeladen zu werden. Bayern Münchens Weltmeister Paul Breitner war auch zu Gast. Er trug bayerische Tracht samt Lederhosen. So erschienen die Bayern neuerdings zu Auswärtsspielen. Die gegnerischen Fans riefen: »Zieht den Bayern die Lederhosen aus!«, da wollten sie zeigen, dass sie die Hosen anhatten. Es war eine der ersten Ideen des neuen Managers des FC Bayern. Er hieß Uli Hoeneß. Wegen eines Knieschadens hatte Hoeneß im Frühjahr 1979 das Fußballspielen aufgeben müssen. Aber dass der Uli jetzt den Manager in einem Fußballverein gebe, sagte Paul Breitner im ZDF- Sportstudio und lehnte sich ganz weit im Lederstuhl zurück: »Es wäre doch wirklich schade, wenn sich der Uli in so einem Job verzettelte, er ist von seinem wirtschaftlichen Denken, von seinem Wissen doch zu etwas ganz anderem befähigt.« Die Starspieler, der Präsident und der Trainer bestimmten die Geschicke eines Bundesligisten. Der Manager
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