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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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einem ordentlichen Gericht gegen die Nominierung des MSV für die neue Eliteliga. Wie konnte dieser klapprige Vorortsklub der traditionsreichen Alemannia vorgezogen werden?
    Selbst die Meidericher Spieler gaben die Aachener Verschwörungstheorien bald als Tatsachen weiter: Dem Franz Kremer, dem Präsidenten des 1. FC Köln und einflussreichen Verfechter der Bundesliga, hatten sie am Aachener Tivoli mal ein Bier über den Kopf geschüttet, erzählte Verteidiger Dieter Danzberg, »daraufhin sagte Kremer zu unserem Präsidenten: ›Diese Aachener will ich nicht in der Bundesliga sehen. Wenn ihr in der Oberliga Dritter werdet, garantiere ich, dass Meiderich in die Bundesliga kommt.‹«
    Die Wahrheit war wohl langweiliger. Die DFB-Kommission, die über die 16 Bundesligaplätze verfügte, versuchte in einem Hochamt der Bürokratie, jeden Regionalverband zu berücksichtigen. Aus dem Fußballverband Niederrhein war der Sportverein aus dem Duisburger Vorort sportlich nachweislich der stärkste Klub. Alemannia Aachen, im Regionalverband Mittelrhein angesiedelt, hatte den 1. FC Köln vor sich.
    Die Auswahl der Bundesligavereine musste zu Ungerechtigkeiten führen. Der 1. FC Saarbrücken als einziger renommierter, halbwegs wirtschaftsstarker Vertreter des Saarlandes wurde zugelassen, obwohl er selbst im dünn besiedelten Südwesten nur Fünfter der Oberliga geworden war. Bayern München blieb außen vor, obwohl es in der Oberliga Süd vor dem VfB Stuttgart, dem Karlsruher SC und Eintracht Frankfurt lag. Doch als Süd-Dritter war der FC Bayern eben auch nur die dritte bayerische Kraft. Es ging darum, dass die neue Spielklasse wirklich als Liga des ganzen Landes startete und nicht als Liga der momentan besten Mannschaften.
    Am Freitag, dem 23. August 1963, traf sich die Mannschaft des Meidericher SV am Duisburger Hauptbahnhof. 17 Tickets zweiter Klasse nach Karlsruhe-Durlach waren für sie reserviert. Neben 14 Spielern reisten der Trainer, der Spielerausschussobmann und der Masseur mit. Falls sich ein Spieler ernsthafter verletzte, würde sich der Mannschaftsarzt des Karlsruher SC um ihn kümmern. Auf das Ehrenabkommen, dass der Arzt der Heimelf im Notfall auch die Auswärtsspieler versorgte, hatten sich alle Bundesligisten geeinigt, denn die Ärzte konnten doch nicht jedes Wochenende quer durch die Republik fahren, die Ärzte hatten zu tun. Und man benötigte den Arzt sowieso fast nie. Als sich Torwart Manglitz im allerersten Training in Duisburg bei einer Schussabwehr einen Finger ausgerenkt hatte, ging Trainer Gutendorf zu ihm, warf einen Blick auf den abstehenden Finger, und mit einem Ruck renkte er ihn wieder ein. Leck mich am Arsch, dachte sich Manglitz. Er trainierte dann die nächsten Wochen als Feldspieler mit.
    Heinz Höher liebte die Fahrten mit der Fußballelf, wenn sie bereits einen Tag vor dem Spiel anreisten. Es gab ihm stets das Gefühl, etwas Besonderes, etwas Großes stehe bevor. Bislang hatte er solche Fahrten nur zu Spielen der Amateur- oder Juniorennationalelf unternommen. In der Oberliga West waren sie stets am Spieltag mit dem Bus zum Stadion gefahren, ausgestiegen und hatten sich aufgewärmt.
    Im Zug nach Karlsruhe klopften ständig Passagiere an das Abteilfenster. »Helmut Rahn, der Helmut Rahn!« Der Meidericher SV übernachtete in einer Familienpension in Karlsruhe-Durlach.
    Einer der Spieler hatte die Neue Ruhr Zeitung als Reiselektüre mitgebracht, Heinz Höher warf einen Blick hinein. Die NRZ wurde von einem frischen, offenen Geist getragen, sie druckte hintergründige Reportagen und, viele erfahrene Journalisten schüttelten den Kopf, gelegentlich sogar Interviews mit Fußballtrainern. Wie konnte man den Worten von ungehobelten Männern so viel Raum und Gewicht geben? Zum Bundesligastart schrieb die NRZ einen offenen Brief an die Bundesligavereine:
    Liebe Vereine,
    es ist erfreulich festzustellen, daß bei den meisten von Ihnen der Optimismus überwiegt und nicht das Nachtrauern an die Zeit, da man die Torstangen selbst zum Platz trug und Eintrittsgelder auf dem Suppenteller kassiert wurden. Vorbei, vorbei, überlassen wir es den braven, den echten Amateuren!
    Der Realismus ist trumpf. Künftig muß mehr getan werden, um möglichst viele Zuschauer (lies: Geld) heranzuholen. Die Werbung der Spitzenvereine war bisher wie im Mittelalter des Fußballsports. Man verließ sich auf die vorschaufreudige Presse, man klebte Plakate an Litfaßsäulen, die in ihrem Charakter seit 50 Jahren unverändert

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