Spieltage
Fuß des Berges, zurück in die Sportschule fahren. Drei Minuten vor der Abfahrt stieg Heinz Höher ein, er war noch mit einem Kollegen durch den Ort geschlendert. Sieh einer an, die Jüngsten kämen wieder einmal als Letzte, sagte Herberger. Heinz Höher nahm es mit einem verschämten Lächeln hin. Er war doch nicht zu spät, oder, fragte er sich. Während er auf seinen Sitzplatz kletterte, schaute er auf seine Uhr, um sich zu vergewissern. Da tat es einen Schlag.
Herberger hatte gegen die Fensterscheibe gehauen. Das war ja wohl der Gipfel der Unverschämtheit, dass es Höher nun auch noch wage, provozierend auf die Uhr zu schauen, brüllte Herberger, eine anmaßende Respektlosigkeit sei das!
Aber der Sturm ging vorüber. Zum Länderspiel am 6. Mai 1959 in Glasgow gegen Schottland lud Herberger ihn ein.
Deinen Reisepass, bitte, sagte der DFB-Generalsekretär Georg Xandry im Trainingslager in Duisburg.
Den habe der DFB doch eingeschickt, um das Visum für das Junioren-Länderspiel in 14 Tagen in Polen zu erhalten, sagte Höher. Er habe den Personalausweis dabei.
Ach ja, richtig, sagte Xandry und nahm den Ausweis an sich.
Mit dem Stapel Pässe ging Xandry am Abflugtag am Flughafen Düsseldorf zum Lufthansa-Schalter, um die Sitzplätze der Mannschaft zu buchen. Er brauchte nicht lange. Als er zurückkam, sagte er, jetzt hätten sie ein Problem. Ohne Reisepass ließ man Heinz Höher nicht nach Großbritannien einreisen. Da war nichts zu machen.
Während die Nationalmannschaft nach Glasgow flog, fuhr Heinz Höher alleine mit dem Vorortzug in die Düsseldorfer Altstadt, trank zwei Bier und einen Klaren, geriet dabei in eine Gruppe von zehn, zwölf Modemodells und fand den Abend auch nicht schlecht.
Heinz Höher empfing weiterhin Herbergers Rundbriefe an die Nationalspieler (»Liebe Kameraden und Freunde!«), er wurde in den ersten, den 40 Mann starken Sichtungskader für die Weltmeisterschaft 1962 in Chile berufen. »Er mochte dich«, sagt Herbergers Assistenztrainer Dettmar Cramer zu Heinz Höher, als sie sich, 88 und 74 Jahre alt, fünf Jahrzehnte später wiedersehen. »Er war verliebt in deinen Drehschlag. Er suchte einen, der mehr konnte als rennen und kämpfen.«
Ein Bild kommt Cramer wieder in den Sinn, im Herrenhaus des Schlosses Oberhausen, 1961, die Amateur-Nationalteams von Deutschland und den Niederlanden trafen sich zum obligatorischen gemeinsamen Bankett nach einem Länderspiel. Es gab Schinkenröllchen, gefüllt mit Eiersalat und Spargel, zur Vorspeise und nach dem Paprikasteak Fürst-Pückler-Eis mit Sahne zum Nachtisch. Das weiß Cramer natürlich nicht mehr, so steht es in der auf schwerem Karton gedruckten Einladung mit eingestanztem DFB-Emblem, die Heinz Höher aufgehoben hat. Bei Kaffee und feinem Backwerk saßen Herberger, Cramer und der niederländische Trainer nach dem Mahl zusammen.
Der Höher, das wäre einer für ihn, so einen hätte er nicht, der sei etwas Besonderes, sagte der niederländische Trainer. Sepp Herberger wandte sich Cramer zu und sagte: Siehste.
»Er war sich nur nicht ganz sicher, ob du diese mentale Härte hättest«, sagt Dettmar Cramer, fünf Jahrzehnte später, zu Heinz Höher.
Nach dem ersten Bundesligaspiel in Karlsruhe beschlich Heinz Höher die Ahnung, was Herberger mit fehlender mentaler Härte gemeint hatte. Egal, wie viel er sich vornahm, wie hart er trainierte, er war in seiner Leistung immer unstet geblieben.
Anders als alle anderen in Karlsruhe hatte er nicht das Gefühl, dass etwas Großes begann. Ihn hatte Herbergers Erscheinen daran erinnert, was vorüber war. Heinz Höhers Nationalmannschaftskarriere endete nach jenem ersten Länderspiel in Schottland, das er nie machte.
Aber gut, sagt er sich, jetzt ging er erst mal mit der Mannschaft ein Bier trinken.
Ihr Nachtzug zurück nach Duisburg verließ Karlsruhe nicht vor 23 Uhr. Sie hatten Zeit und Lust, etwas zu erleben. So weit draußen in der Welt waren sie selten, schon Frankfurt war Ausland für ihn, dachte sich Manfred Manglitz, wenn wir schon mal in Karlsruhe sind, dann wollen wir doch auch was sehen. Also gingen sie in einen Puff.
»Gepufft haben wir aber nicht«, sagt Manglitz.
Im Puff liefen die neuesten Hits, »Ich will ’nen Cowboy als Mann«, die Spieler tranken Bier und lachten, um ihre Aufregung zu vertuschen, wenn die Frauen sie ansprachen. Die Sportredakteure der drei Lokalzeitungen, die über den Meidericher SV berichteten, waren auch mitgekommen. Sie gehörten dazu. Trainer Rudi
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