Spieltage
boten sich postwendend für den Flachpass in den freien Raum an, nahmen den Ball auf und dribbelten dem Tor entgegen. Ließen sich Krämer oder Höher einmal zurückfallen, glaubte das Publikum, nun ruhten sie sich einmal aus. Da spielten sie plötzlich einen Steilpass aus der Tiefe, der Karlsruhes Abwehr zerschnitt. Nach 37 Minuten stand es 0:3. Werner Krämer hatte mit einem brachialen Sololauf Meiderichs erstes Bundesligator erzielt, der Boss nach einem Steilpass von Heinz Höher das dritte markiert. Helmut Rahn auf der theoretisch laufintensiven Position des Rechtsaußen beteiligte sich nur in ausgewählten Momenten am Spiel, und wenn er stand, trat beim Ausatmen sein Bäuchlein hervor. Doch wenn er spielte, war zu erkennen, dass die Form eines Fußballers kommen und gehen mag, die Klasse aber immer bleibt.
Auf der Pressetribüne schien der Reporter des Kicker, Waldemar Rink, persönlich beleidigt. »Diese Karlsruher wirkten wie der kranke Mann«, schrieb er.
Meiderich behielt in der zweiten Halbzeit die Initiative. Jedes Mal, wenn sich sein Gegenspieler Rolf Kahn in den Angriff einschalten wollte, schien sich Werner Krämer für den Freiraum zu bedanken; kaum eilte Kahn nach vorne, rollte der Angriff nach einem Ballverlust wieder über Krämer auf das Karlsruher Tor. Kahns fletschendes Kinn würde allerdings erst Jahrzehnte später berühmt werden: in der Gestalt seines Sohnes Oliver im Tor der Nationalelf, der die Geste mit dem verärgert malenden Unterkiefer vom Vater geerbt hatte.
1:4 hieß es beim Abpfiff. Werner Krämer, den niemand Werner nannte, sondern alle Eia riefen, hatte noch einmal getroffen. »Krämer war ein großartiger Regisseur und schußgewaltiger Torjäger zugleich, prächtig assistiert vom blonden Höher«, schrieb Rink im Kicker. »Überzeugend der technisch glänzende Höher«, urteilte die Süddeutsche Zeitung, die sich zum Start der Bundesliga einen Korrespondentenbericht aus jedem Stadion leistete.
Heinz Höher bekam das Lob von allen Seiten mit. Er selbst aber spürte die Begeisterung über seine Leistung nicht. Bei aller äußerlichen Zufriedenheit blieb er im Kern auf unergründliche Weise traurig. War es, weil er von Gutendorf vom rechten auf den linken Flügel verschoben worden war und somit demonstriert bekommen hatte, dass er in Meiderich anders als in Leverkusen nicht mehr der bestimmende Mann, sondern Krämers und Rahns Nebendarsteller war? Oder war es, weil Sepp Herberger nach dem Spiel zu ihnen in die Umkleidekabine gekommen war?
Der Bundestrainer gratulierte jedem Einzelnen von ihnen schweigend, mit Handschlag. Ihn sprach er an. »Heinz«, sagte Herberger, lächelte kurz, drückte die Hand und ging zum Nächsten.
Es war kein Geheimnis, dass Herberger gekommen war, um Eia Krämer zu beobachten. Heinz Höher konnte den Gedanken nicht verhindern: Deinetwegen kommt er nicht mehr.
Als Sepp Herberger Heinz Höher 1958 zum ersten Mal zu einem Sichtungslehrgang der Nationalelf nach Grünwald eingeladen hatte, musste sich Höher von der Schule befreien lassen. Er ging mit 20 noch in die 13. Klasse am Carl-Duisberg-Gymnasium, weil er zwischenzeitlich zwei Lehren versucht und gelangweilt abgebrochen hatte. In der Sportschule Grünwald übten sie Grundtechniken, den Kopfball am Ballpendel, den Spannschlag, Innenristpass, eine Wiederholung und noch eine, nur durch die permanente Wiederholung wurde ein Fußballer besser, sagte Herberger. Sein Assistent Helmut Schön warf Höher den Ball halb hoch zu, damit er den Drehschlag übte. Heinz Höher holte in der halben Körperdrehung wuchtig aus. Als er den Ball sauber mit dem Spann in der Luft traf, multiplizierte sich die Geschwindigkeit seines Fußes mit der des Balles, in einer geraden Linie sauste der Ball in den Torwinkel. Sepp Herberger packte Heinz Höher an der Schulter. Du hast den besten Drehschlag von allen, sagte der Bundestrainer. Heinz Höher war verwirrt. Warum sagte Herberger das? Albert Brülls hatte doch einen viel besseren Drehschlag.
In den Tagen danach, als der Satz immer wieder in seinem Kopf nachhallte, glaubte Heinz Höher zu begreifen, was der Satz bedeutete: Herberger hielt viel von ihm, Herberger baute auf ihn. Abends auf dem Zimmer gewann das Lob in Heinz Höhers Wachträumen eine immer größere Bedeutung: Vielleicht wollte Herberger ihn zu Fritz Walters Nachfolger aufbauen!
An einem freien Nachmittag unternahmen sie einen Ausflug zur Zugspitze. Um 21:15 Uhr würde der Bus vom Skistadion in Garmisch, am
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