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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Zuschauer zu beeindrucken: ein schnelles Auto und einen übergewichtigen Stürmer.
    Leck mich am Arsch, dachte sich Torwart Manfred Manglitz, als er Gutendorf in einem glänzend weißen Mercedes 190 SE mit roter Ledergarnitur vorfahren sah. Als wollten sie Spalier stehen, wichen die Zuschauer zurück. Es war ein warmer Tag im heißen Juli 1963, der sie entschädigte für den Graus vom Vorjahr, den kältesten Sommer seit 111 Jahren mit einem einzigen Tag über 25 Grad. Da fährt der mit einem Mercedes in der Arbeiterstadt Meiderich vor, dachte Manglitz. Leute, die sich was trauten, gefielen ihm. Er selbst trug in den Spielen immer das neueste Modell einer Schirmmütze.
    Es riecht hier so komisch, dachte sich Heinz Höher, der mit Manglitz überpünktlich losgefahren war, um am ersten Tag nicht zu spät zu kommen.
    Der Geruch, stechend, säuerlich, musste von der Hochofenschlacke in der Phoenixhütte stammen. Heinz Höher fragte sich, ob es in Leverkusen auch so penetrant roch, sicher musste es riechen, bei den Abgasen, die Bayer in die Luft jagte. Aber es war ihm nie störend aufgefallen. Es war normal.
    Minuten nach Gutendorfs Auftritt im Sportwagen schwappte die Menge der Schaulustigen auf dem Stadionparkplatz wieder nach vorne. Noch ein Mercedes bog von der Westender Straße ein. Gutendorfs gewichtiger neuer Stürmer fuhr vor: Der Boss kam.
    Als Helmut Rahn ausstieg, sah die Menge einen Mann, der älter war, als man mit 34 sein musste, die Haut faltig, der Torso breit. Aber wen die Schaulustigen genauso wie die neuen Mitspieler noch immer in ihm sehen wollten, war Helmut Rahn, der neun Jahre zuvor im Weltmeisterschaftsfinale 1954 gegen Ungarn aus dem Hintergrund das Tor zu Deutschlands 3:2-Sieg geschossen hatte.
    Ich sitze neben Helmut Rahn, dachte sich Horst Gecks in der Umkleidekabine, ein 20-jähriger Floh von einem Außenläufer, 1,73 klein, 62 Kilo leicht, und selbst in Gedanken traute sich Gecks den Satz nur zu flüstern. Außer einem 31-jährigen Verteidiger waren sie alle mindestens zehn Jahre jünger als Rahn. Mit großen Jungenaugen hatten sie ihn 1954 schießen sehen, als Rundfunkreporter Herbert Zimmermann mit seinem Kommentar den ersten Gemeinschaftsmoment der jungen Bundesrepublik schuf: »Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt, Tooor!« 16-jährig hatte Heinz Höher damals vor dem Gasthaus Birkhäuser gestanden und versucht durch das Fenster einen Blick auf den Fernseher zu erhaschen, die Wirtschaft war überfüllt zur Übertragung des WM-Finales. Helmut Rahn würde nie einfach ihr Teamkollege werden. Er würde immer auch ihr Held bleiben.
    Dass Rahn mit 34 seinem alten Helden-Ich sichtbar hinterherhechelte, war zweitrangig. Der Boss blieb der Boss.
    Doch im Prinzip kam die Bundesliga für die Weltmeister von 1954 zu spät. Fritz Walter trat nun als Repräsentant für Adidas sowie als Fußballweiser in Funk und Presse auf, sein Bruder Ottmar Walter verdingte sich als Tankstellenbesitzer mit flottem Werbespruch: »Willst du unserem Ottmar danken, musst du fleißig bei ihm tanken.« Neben Helmut Rahn blieben nur noch drei Weltmeister am Ball, Hans Schäfer in Köln, Max Morlock in Nürnberg und Heinz Kwiatkowski als Ersatztorwart in Dortmund. Die Bundesliga schien ein neuer Anfang: Es war Platz für neue Namen, eine neue Zeit.
    In Meiderich überlegte der Verwaltungsrat, ob er eine Mark Eintritt für das Training verlangen sollte. Er verwarf den Gedanken schnell wieder aus Angst, einen Volksaufstand zu provozieren. In Meiderich, 70000 Einwohner, durch den Fluss Wedau von Duisburg abgegrenzt, arbeiteten die Fußballer an der Seite ihrer Zuschauer auf der Stahlhütte Phoenix-Rheinrohre. Da konnte es sich der Fußballverein nicht erlauben zu vergessen, wie hart die Zuschauer für ihre Mark arbeiteten. Ein Gefühl von Wehmut blieb allerdings im Verwaltungsrat, was sie ohne ein bisschen Aufwand an den ersten drei Trainingstagen hätten einnehmen können. 8500 Zuschauer waren im Jahr zuvor durchschnittlich zu Meiderichs Spielen gekommen, nun pilgerten 5000 zu einem gewöhnlichen Training, um die neue Zeit zu spüren und den Boss zu sehen.
    Als erste Übung ließ Trainer Gutendorf die Spieler nebeneinander einmal den Platz hoch und wieder runter gehen, 100 Meter vor, 100 Meter zurück. Dabei musste jeder einen Ball mit den Füßen in der Luft jonglieren. So eine Übung hatte noch nie einer von ihnen gesehen.
    Unter Gutendorfs Vorgänger Willy Multhaup hatte der MSV dienstags im Training

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