Spieltage
Hermann Gerland, am Ball nicht der Feinste, sah am eigenen Beispiel, dass Arbeit und Ehrgeiz viele Mängel ausgleichen konnte. Er spielte auch verletzt. Er erwartete von allen denselben, absoluten Einsatz. Mit 29, als etablierter Bochumer Bundesligafußballer, lief ihm einmal ein VfL-Jugendspieler über den Weg, Dirk Bremser.
Bremser, ich habe gehört, du hast in der Rolandshalle Klavier gespielt.
Jawohl, Herr Gerland.
Dirk Bremser konnte am Klavier einen ganzen Saal zur andächtigen Stille bewegen, deshalb hatte ihn der Jugendleiter gebeten, etwas bei der Weihnachtsfeier vorzuspielen. Alle hatten Bremser dafür gelobt. Hermann Gerland sagte: Du musst dich entscheiden, ob du Klavier oder Fußball spielen willst.
Er kam aus Bochum, Stadtteil Weitmar, Bergbaurevier. Er wurde Co-Trainer beim VfL, schließlich Trainer, mit 32. Als er einen Spieler aus Polen verpflichtete, half Hermann Gerland den VfL-Sekretärinnen, die Wohnung des neuen Spielers einzurichten. Er schleppte Möbel, er hängte die Bilder auf. Wenn ein Tramper an der Autobahntankstelle höflich fragte, nahm er ihn mit. Mindestens einmal im Jahr besuchte er Frau Mense im Gasthaus an der Castroper Straße. Er hatte mit 16, vor beinahe zwei Jahrzehnten, einmal mehrere Wochen lang in einem ihrer Gästezimmer gewohnt, als seine Mutter krank war. Dankbarkeit, glaubte er fest, musste man nicht nur einmal zeigen, sondern immer wieder. Sein Vater war gestorben, als Hermann Gerland neun war.
Am Telefon im Frühling 1988 hatten Heinz Höher und Hermann Gerland lange miteinander geredet, nachdem sie die Übergabe beim 1. FC Nürnberg beschlossen hatten. Er tue sich schwer, beim VfL seinen Mittelfeldspieler Thomas Kempe zu erreichen, erzählte Gerland. Du hättest ihn einfach nach dem 2:0 über den HSV im Pokalhalbfinale vor allen Leuten noch auf dem Spielfeld in den Arm nehmen müssen, sagte Höher, und alles wäre gut gewesen. Mit welcher Leichtigkeit er Ratschläge erteilte, die er selbst nie einhalten konnte, dachte sich Heinz Höher: Spieler in den Arm nehmen, Vertrauen zeigen.
Damals am Telefon waren sie ein junger Bundesligatrainer und ein gestandener Bundesligatrainer im kollegialen Gespräch gewesen. Wieso glaubte Gerland sechs Monate später seinen Rat ignorieren zu können, dachte Heinz Höher im September 1988 in Nürnberg. Wieso glaubte Höher, er könne ihm immer noch Befehle erteilen, dachte Hermann Gerland.
An Konfliktpotenzial herrschte kein Mangel. Wie befürchtet, tat sich der Club ohne Roland Grahammer und Stefan Reuter schwer. Was Nationalstürmer Dieter Eckstein im Moment bringe, sei nicht bundesligatauglich, klagte vor der Presse Hermann Gerland, der unter Ehrlichkeit auch verstand, die Dinge so zu benennen, wie sie waren. Eckes, rief er beim Training, du bewegst dich nicht! Und dann bewegte sich Dieter Eckstein erst recht nicht.
Der Hermann versteht den Eckes nicht, schimpfte Heinz Höher bei Präsident Schmelzer. Dem Eckes musste ein Trainer Zuneigung und Vertrauen schenken, sonst spielte er niemals gut.
In dieser Phase siegte der Club im September 1988 2:1 bei AS Rom im Hinspiel des UEFA-Pokals. »Ein nie für möglich gehaltenes sensationelles Comeback auf internationaler Bühne«, schrieben die Nürnberger Nachrichten. Es hätte der einende Moment sein können. Es wurde nur das nächste Theater.
Die Mannschaft wohnte in Rom in einem Hotel ohne Klimaanlage an einer lauten Ausfallstraße. Assistenztrainer Dieter Lieberwirth, sechs nicht nominierte Ersatzspieler und die Reporter der Nürnberger Zeitungen waren 30 Kilometer von Rom entfernt in einem Ferienhotel untergebracht. Es musste erst für sie aufgeschlossen werden. Die Urlaubssaison war schon vorbei. Essen oder Telefonleitungen gab es nicht. Für die Reiseplanung war letztendlich der Manager verantwortlich.
Sein Freund Dieter Reiber, der unter anderem die Stadionzeitung des Clubs herausgab und die Reise mit organisiert hatte, entschuldigte sich öffentlich für die Unannehmlichkeiten. Heinz Höher dagegen sagte: »Wenn der Assistenztrainer sich darüber beschwert, dass er mit dem Taxi zum Training fahren muss, erhält er bei künftigen Auslandsreisen die Gelegenheit, mit den Reservisten in der Heimat zu arbeiten.«
Von dem Moment an war Heinz Höher, der Trainer des Nürnberger Fußballhochs, für viele Spieler, Journalisten und Fans ein Manager, der es nicht konnte. In der Bundesliga, wo ein einziger Torschuss aus Menschen Sieger und Verlierer machte, wurden aus einer Episode
Weitere Kostenlose Bücher