Spieltage
endgültige Urteile abgeleitet.
Der Heinz kann sich einfach nicht in der Öffentlichkeit verkaufen, dachte Präsident Schmelzer. Leider konnte sich ein Bundesligamanager auch nicht einfach aus dem öffentlichen Licht stehlen. Drei Stunden dauerte samstags die Bundesligasendung Anpfiff von RTL plus; es wurde mehr über Fußball geredet als Fußball gezeigt. Manchmal interviewte Anpfiff- Moderator Ulli Potofski auch Sexberaterin Erika Berger irgendwie zum Fußball, oder die Kamera führte das Publikum in das FKK-Freibad neben dem Dortmunder Westfalenstadion. Die werden schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, sagten sich die Redakteure des ZDF- Sportstudios. Die 23 Millionen Mark, die RTL über die UFA pro Saison für die Übertragungsrechte zahlte, konnte der Sender durch Werbung niemals refinanzieren. Außerdem erreichten die Privatsender wegen technischer Schwierigkeiten nur ein Viertel aller deutschen Haushalte.
Zu Hause sah Thomas die neue Sendung. Sein Bruder Markus war nach Hamburg gezogen, Dieter Reiber hatte ihm dort einen Posten als Fotokaufmann verschafft. Susanne, auch schon 23, studierte für das Lehramt. Als Uli Hoeneß ihrem Vater Stefan Reuter und Roland Grahammer stahl, hatte sie ein Bild gezeichnet, Heinz Höher, wie er an einem Hampelmann mit Uli Hoeneß’ Gesicht zog. Das Bild konnte Heinz Höher ansehen, wenn ihn alles zu sehr aufregte.
Zum ersten Mal in seinem Leben verfolgte Thomas mit 13 die Bundesligaspiele im Fernsehen, ohne dass eine Mannschaft ganz und gar die seines Vaters war. Zu Hause reizte er den Vater nicht ungern, als der Vater sich einmal neben ihn setzte, um die Mathehausaufgaben zu überwachen, hatte Thomas gesagt, wofür brauche er Mathe, dazu gebe es doch Taschenrechner. Der Vater drohte, die Aufgaben würden gemacht, und zwar jetzt. Thomas stand auf, rannte ins Bad und schloss sich ein. Der Vater versuchte nie mehr, seine Hausaufgaben zu überwachen. Aber Thomas empfand etwas für den Vater, was niemand von seinen Freunden für ihre Väter spüren konnte: Er war sein Fan. Er hatte seinen Vater, den Fußballtrainer, bedingungslos geliebt. Manager war irgendwie nicht dasselbe. War das nur eine kindliche Wahrnehmung, oder spürte der Sohn unbewusst die Enttäuschung des Vaters über die neue Aufgabe?
Der 1. FC Nürnberg bereitete sich auf seinen Auftritt in der ganz großen Welt vor. Der AS Rom traf zum Rückspiel ein. Die Römer, hörte man, brachten ihren eigenen Koch mit. Der Höfler-Wirt, bei dem sie im Stadtteil Reutles untergekommen waren, durfte nur nach einer vorab gefaxten Einkaufsliste Fleisch und Obst besorgen. Die Nudeln brachten die Italiener auch selbst mit, natürlich. Italienischer Fußball, das war es. Selbst die italienischen Fußballjournalisten sahen aus wie Stars, mit Anzug, Krawatte und diesen unglaublich eleganten Lederschuhen. Wer was war im Fußball, ging in die Serie A, Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann durften für Inter Mailand spielen, Rudi Völler stürmte für AS Rom. Das Wort ging in der Bundesliga um, der italienische Meister Milan spiele einen futuristischen Fußball. Angeblich bewegten sich Milans zehn Feldspieler wie eine Maschine, durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden, in Dreiecksformen und Linien über den Rasen, sodass der Gegner in Ballnähe stets in Unterzahl war, nie Spielraum fand. Nicht auszudenken, wenn der 1. FC Nürnberg seinen 2:1-Vorsprung gegen eine italienische Elf verteidigte.
Die Baustelle Stadion war für den großen Tag, so gut es ging, hergerichtet worden, auf der Haupttribüne funkelten schon drei-, viertausend der neuen, grünlich gelben Schalensitze, und in zwei Baulücken waren provisorische Stahlrohrtribünen gesetzt worden, damit wenigstens 31000 Zuschauer Platz fanden. Eine Eintrittskarte für einen der neuen Sitze auf der Haupttribüne Mitte kostete 150 statt der üblichen 30 Mark. Es wollten doch vermutlich 70000 die Rückkehr des Clubs nach Europa und die Italiener sehen. Es kamen nur 20000 Zuschauer.
Die Fans waren beleidigt. Der Verkauf von Reuter und Grahammer, die hohen Eintrittspreise und eine Mannschaft, die gerade 0:10 Punkte in der Bundesliga gesammelt hatte, ließen Tausende schmollend zu Hause bleiben. Schuld war – weil im Fußball immer einer schuld sein muss – für die Nürnberger Zeitungen Heinz Höher. »Club-Manager Heinz Höher, einer scharfen Skatrunde nie abgeneigt, hat überreizt und den 1. FC Nürnberg ausgerechnet bei jenen Anhängern in Misskredit
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