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Spieltage

Spieltage

Titel: Spieltage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Reng
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Schlusspunkt setzte der Trainer in einem Interview mit dem Spiegel, wo er behauptete, der Präsident spinne primitive Intrigen gegen ihn, einmal habe Schmelzer sogar versucht, die Taktik der Elf zu ändern. Gerland wurde wegen eines Interviews gefeuert, das hatte es selbst in der Bundesliga noch nicht oft gegeben.
    Der Club fand keine Ruhe mehr. Es reichte, dass drei, vier Spielertransfers missrieten und beim Umbau des Stadiongeländes nachträglich eine Millionenforderung des Freistaats Bayern aufkam, und die Finanzen liefen aus dem Ruder. Präsident Schmelzer folgte noch immer seinen Maßstäben vom kontinuierlichen, sachlichen Handeln, aber in der Praxis war er nur noch damit beschäftigt, Brände zu löschen. Unter Gerlands Nachfolger Arie Haan stand der Club zum Jahreswechsel 1990/91 auf dem vorletzten Tabellenplatz. Heinz Höher reiste nach Sylt, um sich auf sein Comeback vorzubereiten.
    Er war Trainer, 52 Jahre alt, aber er ging die Sache an, als ob er ein Fußballspieler wäre. Er absolvierte lange Dauerläufe am Strand, er rannte Sprintserien die Dünen hinauf. Er reduzierte den Alkohol, er hielt sich vom Casino Westerland fern. Zwei Jahre zuvor hatte er in der Spielbank an fünf Tagen hintereinander beim Roulette jeden Abend um die 5000 Mark gewonnen. Es schauderte ihn bei der Erinnerung: Für solch unverschämtes Glück muss man später fürchterlich bezahlen, hatte er damals gedacht, fünfzehn Monate vor Markus’ Tod.
    Er ging im Kopf die Club-Mannschaft durch, die er aufstellen würde, sobald Gerd Schmelzer seine Rückkehr im Präsidium durchgesetzt hatte. Eckstein und Dorfner, seine Lieblinge, waren zurück beim Club und dazu ein 28-jähriger Medizinstudent, Reiner Wirsching, den er kurz vor seiner Entlassung als Manager noch im Amateurfußball in Schweinfurt gefunden hatte. Die Medien und Fans taten plötzlich, als wäre das eine unglaubliche Sensation, ein Student, der mit Mitte zwanzig noch den Sprung in die Bundesliga schaffte. Dabei hatte Heinz Höher doch sein ganzes Trainerleben lang Spieler in Landes- und Bezirksligen entdeckt. Ja, damals, sagten die Leute. Heinz Höher wollte nicht glauben, dass 1991 etwas so anders sein sollte.
    Er setzte eine Liste auf mit all den Spielern, die er beim Club herausgebracht hatte, »Heinz Höher – Trainer-Bilanz vom Januar 1984 bis Juni 1988 mit sportlichen und wirtschaftlichen Fakten«, überschrieb er die Auflistung. Die Liste würde er bei seiner Präsentation als Trainer an die Zeitungsreporter verteilen, die in ihm nur noch den gescheiterten Manager sahen. »1986–88 den attraktivsten und offensivsten Fußball der Bundesliga gespielt«, stand in der Liste. Er sparte allerdings auch nicht an Selbstironie: »1984 den letzten Tabellenplatz souverän verteidigt.«
    Am 10. Januar 1991 erhielt er den ersehnten Anruf von Gerd Schmelzer. Heinz, sagte der Präsident, und Heinz Höher kam es vor, als hole Gerd Schmelzer ewig lange Luft. Es klappt nicht.
    Die Vizepräsidenten Sven Oberhof und Ingo Böbel sowie der Verwaltungsrat hatten Schmelzer überstimmt. Arie Haan würde Trainer bleiben. Oberhof und Böbel hielten Heinz Höher nach dem Tod des Sohnes für zu labil, um im Abstiegskampf zu bestehen.
    Aber seit wann ließ sich Gerd Schmelzer von den beiden so einfach überstimmen? Schmelzer und er hatten doch zu ihrer Zeit die großen Entscheidungen immer alleine getroffen; ein erfolgreicher Bundesligist brauchte doch den einen starken Mann an der Spitze.
    Für einen Moment, sagte Gerd Schmelzer, war die Kampfkraft aus ihm gewichen. Sein Vater war vor Kurzem gestorben, seine Ehe drohte zu zerbrechen. Für einen Moment schien es eine Befreiung, einfach aufgeben zu können. Nachdem seine Vorstandskollegen Heinz Höhers Rückkehr abgelehnt hatten, war Gerd Schmelzer als Präsident des 1. FC Nürnberg zurückgetreten. An den Kiosken lag noch immer der Kicker vom Morgen des 10. Januar aus. »Die Mannschaft braucht Heinz Höher«, sagte Gerd Schmelzer darin in einem Interview.
    Das Leben wollte nicht weitergehen. Doris war stets überzeugt gewesen, dass ihr Mann bis 89 als Fußballtrainer arbeiten und dann tot auf dem Rasen umfallen würde. Nun saß er mit 52 zu Hause mit seinen Bierflaschen und machte die ganze Familie nervös. Die Gedanken flogen kurz zurück zu Heinz Höhers 50. Geburtstag. Wer etwas war, wer etwas sein wollte in Nürnberg, war zur Feier erschienen, das Präsidium schenkte ihm einen Wink-Sessel für gut und gerne 5000 Mark, Gerd Schmelzer

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