Spieltage
langweilig gewesen. Er erwarb Put and Call Options. Es war die Börsenversion einer Pferdewette. Er wettete auf steigende oder sinkende Kurse, indem er Optionsscheine kaufte, die er bis zu einem festgelegten Datum entweder in Aktien umwandeln (to call) oder zurückgeben konnte (to put). Thomas lauschte den Telefongesprächen seines Vaters mit Herrn Unger und dachte sich, oh Mann. Da weiß der eine so wenig, was er tut, wie der andere.
Samstag schauten Vater und Sohn die Bundesliga in ran wie viele andere Immobilienmakler mit ihren Söhnen. Er sah die vertrauten Gesichter, Otto Rehhagel als Trainer von Werder Bremen, Udo Lattek, gerade Trainer auf Schalke, aber er erkannte sie nur noch schwer wieder. Sie trugen schreiend bunte Trainingsanzüge, die mit Werbestickern gepflastert waren. Lattek hatte sich dazu eine Baseballmütze tief ins Gesicht gezogen, sodass man statt seiner Augen nur noch die Werbung für Buttermilch auf der Mütze sah. Sie erschienen nach Schlusspfiff, noch voll mit dem Trubel und den Aggressionen des Spiels, zum Fernsehinterview mit ran- Moderator Reinhold Beckmann, der in roter Jeansjacke live aus dem Studio zugeschaltet wurde. Der Bundesligafußball konnte nicht bunt genug sein. Gelegentlich interviewte in ran auch Günna einen Trainer. Günna war eine sprechende Handpuppe.
Wie würdest du in dieser Bundesliga aussehen, fragte sich Heinz Höher bange und analysierte im nächsten ran- Beitrag das Spiel des 1. FC Nürnberg, als ob er den Club sofort übernehmen dürfte.
Über Nacht war die Bundesliga neureich geworden. 74 Millionen Mark zahlte Sat. 1 für die Rechte, um in der Saison 1992/93 erstmals die Bundesliga übertragen zu dürfen. Das war eine Steigerung von 800 Prozent zu den 9,2 Millionen, die ARD und ZDF fünf Jahre zuvor für dieselben Rechte entrichtet hatten. Mit den bunten, langen Fußballprogrammen der Privatsender wurde die Bundesliga auch als Plattform für die Werbeindustrie interessanter. Nur noch gut die Hälfte der Einnahmen stammte aus dem Eintrittskartenverkauf. Die Bundesligisten nahmen das Geld, und nur wenige Präsidenten, Manager oder gar Spieler machten sich Gedanken, was das Fernsehen aus ihnen machte.
Medienunternehmer wie Leo Kirch, zu dessen Imperium Sat. 1 gehörte, oder Rupert Murdoch in Großbritannien waren sich bewusst, dass sie mit ihren Fußballprogrammen allein niemals das Geld einspielen konnten, das sie für die Übertragungsrechte ausgaben. Es ging darum, über den Fußball Zuschauer an den Sender zu binden. Fußball war, wie Murdoch sagte, ihr Rammbock, um den jungen Sendern den Durchbruch zu verschaffen. Dafür sollten auch Zuschauer die Fußballsendungen schauen, die sich gar nicht für Fußball interessierten. Kameras liefen auf Schienen durch die Stadien und fingen das Spiel aus unzähligen Perspektiven ein. Der Fußball wurde dramatischer und menschlicher. Das Spiel musste dazu nicht einmal besser werden.
Randaspekte wie der blaue Glückspullover eines Trainers, die Fehde zweier Torhüter oder der Tritt eines wütenden Stürmers in eine Werbetrommel waren so wichtig wie die Tore. Niemand musste verstehen, wie Raumdeckung funktionierte, um jeden Samstag, ganz nah rangerückt, Bundesligaspielern fasziniert beim Triumphieren und Leiden zuzusehen.
Vielen in der Redaktion des Aktuellen Sportstudios grauste es vor den schrillen Tönen der neuen Fernsehzeit. Dass ran eine Fortentwicklung der Ursprungsidee des S portstudios war, wollten die wenigsten sehen. Sport war Unterhaltung. Heinz Höher sah das Sportstudio nur noch selten. Nach zwei Stunden ran am frühen Samstagabend hatte man doch schon alles gesehen.
Staunend beobachteten Heinz Höher und Gerd Schmelzer aus der Halbdistanz, was der Fußball alles aushielt. Bundesligaspiele wurden im Bezahlfernsehen live übertragen, Bundesligaspiele wurden auf sonntags verschoben, damit Sat. 1 an dem Tag auch noch etwas zu berichten hatte. Der DFB genehmigte den Einsatz von drei statt zwei Ausländern pro Team, und der Münchener Merkur fragte sorgenvoll, spielt unter lauter Brasilianern, Hessen und Karlsruhern bald überhaupt kein Münchner mehr bei den Bayern? Es wurde nach jahrzehntealten Erkenntnissen alles getan, um die Zuschauer aus den Stadien zu vergraulen: ein voluminöses Fernsehangebot, Teams mit kaum noch regionaler Identifikation. Und die Zuschauerzahlen stiegen. Zum ersten Mal nach dreizehn Jahren kamen in der Saison 1992/93 im Schnitt wieder mehr als 25000 Besucher zu den Bundesligaspielen.
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