Spieltage
spürten auch sie vor allem, was zwischen den Worten nicht gesagt wurde. Köpke war als dritter Torwart für die Weltmeisterschaft nominiert worden. Im Tor stand Bodo Illgner, den Heinz Höher 1986 beim 1. FC Nürnberg als Konkurrenz für Köpke schon verpflichtet hatte. Wäre Illgner nach Nürnberg gekommen, hätte er die zwei besten deutschen Torhüter Deutschlands in einem Team gehabt, vermutlich ohne dass es jemand bemerkt hätte, weil einer der beiden auf der Ersatzbank versauert wäre. Im Hotel in Erba kam ihm Stürmer Pierre Littbarski entgegen. Heinz Höher rang sich ein verkrampftes Lächeln ab. Littbarski lief mit einer Filmkamera herum. Er trug eine Baseballkappe, Turnschuhe mit Fußballstutzen und sonst nichts. Heinz Höher fragte nicht, was der Aufzug sollte. Wochenlang kaserniert, kamen Fußballspieler auf die unwahrscheinlichsten Ideen. Immerhin hatte er, ohne es zu wollen, nach Wochen wieder gelächelt.
Finanziell kann uns nichts passieren, sagte er sich, sagte er Doris, es klang merkwürdig nach Markus’ Tod, als ob Geld noch irgendeine Rolle spielte. Aber es tat gut zu wissen, irgendetwas war noch sicher.
Er hatte als Geldanlage ein Hotel in der Nürnberger Altstadt eröffnet. Es gebe in Nürnberg viel zu wenig Übernachtungsmöglichkeiten und kaum Raum in der Innenstadt, neue Hotels zu bauen, hatte ihm Helmut Schmelzer erzählt, der Bruder von Gerd. Da müsste man schon unter dem Fluss, unter der Pegnitz bauen. Sie hatten gelacht. Nachts, als er wach lag, sagte Herr Winzlinger zu ihm, ihr scherzt, »unter der Pegnitz bauen«, aber warum schaust du nicht mal auf die andere Seite der Pegnitz, in die Altstadt, ob du nicht ein altes Gebäude findest, das du zum Hotel umbauen kannst. Er baute ein dreigeschossiges Haus aus dem 18. Jahrhundert am Unschlittplatz für über vier Millionen Mark zum Hotel Merian um. Heinz Höher hantierte ohne Furcht mit großen Beträgen. Er sah, was er gewinnen würde, nicht, was man verlieren konnte. Tatsächlich musste er jeden Monat rund 22000 Mark an Kredit und Zinsen zurückzahlen und nahm an Pacht für Hotel und Restaurant 30000 Mark ein. Er konnte es sich leisten, nichts zu tun, und würde jeden Monat rund 8000 Mark brutto zur Verfügung haben. Es sollte beruhigend klingen. Die Wochen vergingen, und es wurde öde, nichts zu tun. Morgens trank er ein, zwei Bier, dann ging es etwas besser. Mittags trank er ein, zwei Bier, damit das Gefühl anhielt.
Seine Frau und die Tochter warfen ihm Blicke zu. Aber was sollte das, wenn er wollte, konnte er sofort mit dem Trinken aufhören. Um es ihnen zu beweisen, sagte er, bis nächsten Sonntag um zwölf Uhr trinke ich sieben Tage lang keinen Tropfen. Am ersten Tag ohne Alkohol glaubte er am ganzen Körper vor Kälte zu zittern, obwohl ihm heiß war, sicherlich war das Zittern nur innerlich, eingebildet, dachte er, bis er seine Finger betrachtete. Er musste sich auf das Sofa legen, er glaubte, er würde es nicht mehr schaffen aufzustehen und stellte sich schlafend, damit niemand es merkte. Aber nach ein, zwei Tagen verschwanden die Entzugserscheinungen. Eine Woche lang trank er keinen Tropfen und öffnete sich am Sonntag, um Punkt 12 Uhr, ein Bier. Er hatte doch bewiesen, dass er, wenn er wollte, jederzeit aufhören konnte.
Er dachte an Markus und sagte sich, in seinem Zustand könne er sowieso keinen Bundesligaklub trainieren. Gleichzeitig wartete er sehnsüchtig auf ein Angebot.
Zum Jahresende 1990 sagte ihm Gerd Schmelzer, halte dich bereit. Ich hole dich als Trainer zurück.
Hermann Gerland war schon im April 1990 entlassen worden, obwohl er den Club wieder im Mittelfeld der Bundesliga stabilisiert hatte. Aber auf kuriose Weise hatte sich das Verhältnis zwischen Gerland und Gerd Schmelzer nur verschlechtert, seit der Präsident dem Trainer mit der Entlassung von Heinz Höher eigentlich den Rücken gestärkt hatte. Als nehme Schmelzer Gerland unterbewusst übel, dass er seinen Freund Höher hatte entlassen müssen, als traue Gerland Schmelzer wegen dessen Freundschaft zum geschassten Höher nicht, beharkten sie sich. Sechs Monate redeten sie kein Wort miteinander. Morgens um sechs wachte Gerland manchmal auf und fragte sich, was mache ich falsch, mache ich wirklich etwas falsch? Der Präsident steigerte sich in das Gefühl, die Zeitungen hätten gegen ihn den Klassenkampf ausgerufen, er, der Schlossbewohner und Immobilienentwickler, chancenlos in der öffentlichen Meinung gegen den redlichen Arbeiter Hermann Gerland. Den
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