Spieltage
Vorschlägen hervor. Er war, wie Briten sagen, ein Mann größer als das Leben. Selten machte er nur eine Sache. Als Geschäftsführer des Handballbundes und später der Fluggesellschaft Bavaria hatte er nebenbei als Rundfunkreporter sowie Vermögensberater gearbeitet. Er hatte eine Charterfluggesellschaft gegründet und eine Dehnbundhose für Männer mit wechselndem Bauchumfang patentieren lassen. Er war noch keine 35 Jahre alt. Thoelke hatte keine Ideen, er sprühte Ideen.
Die Tauziehnationalmannschaften der Schweiz und Deutschlands wollte er nach Eschborn ins Studio einladen und dort gegeneinander antreten lassen. Musik musste ins Programm, sie mussten nicht nur eine Sportsendung, sondern ein Unterhaltungsprogramm werden.
Teak-Wim nannten ihn die Jüngeren. Thoelke hatte als Einziger Teppich und einen Schreibtisch aus Teakholz in den Baracken in Eschborn. Plötzlich, noch bevor das Sportstudio auf Sendung ging, sahen die jungen Kollegen ihn im Fernsehen. Er moderierte die ZDF-Nachrichtensendung heute. Wie hatte er den Job wieder bekommen?
Thoelke, dessen Körper nicht dick oder breit, sondern mächtig war, der scharfzüngig und gleichzeitig charmant sein konnte, würde der Gastgeber ihres Sportstudios, entschied Sportchef Peets. Aber für die erste Sendung wollten sie einen erfahrenen Kopf, einen großen Namen. Sie verpflichteten den Sportkommentator des Österreichischen Rundfunks, Heribert Meisel.
Die Bahnhofsuhr hatte getickt, am 24. August 1963, und nachdem Gastgeber Heribert Meisel durch einige Beiträge geführt hatte, übergab er an die Sekretärin der ZDF-Sportredaktion. Die Kamera schwenkte auf Uschi Stöhr, eine junge, hübsche Frau, selbstredend blond. Die Fernsehzuschauer sahen dabei zu, wie Uschi sorgfältig eine Schallplatte auf den Plattenteller legte, dann kratzte kurz die Nadel, und es erklang ein Hit wie Fingertips von Stevie Wonder. Während das Lied lief, zeigte die Kamera unentwegt das Bild von der sich drehenden Schallplatte.
Die erfahrenen Fernsehkollegen des Ersten Deutschen Fernsehens, die – natürlich nur zufällig – eingeschaltet hatten, um zu sehen, was die neuen Kollegen so trieben, musste das Zusehen körperlich schmerzen. Was für ein Dilettantismus!
Lauter Todsünden begingen diese Anfänger. Da waren Kameras, Kameramänner und Kabel im Bild, und offenbar ließen die jungen Kerle diesen Blick hinter die Kulissen auch noch absichtlich zu. Dann Musik in einer Sportsendung! Und jetzt traten – zum ersten Mal in einer deutschen Fernsehsendung, egal, ob aus Politik, Sport oder Kultur – auch noch Gäste in der Sendung auf – wie wollten diese Banausen da ihre journalistische Unabhängigkeit bewahren, sich nicht gemein machen mit dem Sport?
Der Weitspringer Wolfgang Klein und der Torwart des 1. FC Köln Fritz Ewert waren geladen. Ewert hatte mit Köln sein erstes Bundesligaspiel in Saarbrücken bestritten, vom Schlusspfiff bis zum Sendebeginn blieben genau zweieinhalb Stunden, um ihn ins Studio zu bringen. Das sollte, bei 183 Kilometer Entfernung, gerade so hinhauen. Aber selbst wenn der Torwart direkt vom Auto ins Studio käme, wäre das kein Drama, sondern phantastisch: Es würde die Werkstattatmosphäre der Sendung betonen. Die Zuschauer sollten spüren, mit welch heißem Atem hier an der Aktualität gedreht wurde.
Mit jeweils zwei Kameras waren die Reporter bei den Spielen in Saarbrücken, München und Frankfurt gewesen, eine Führungskamera auf der Tribüne und eine zusätzliche Kamera hinter einem der beiden Tore. Wenn sie Glück hatten, fielen die Tore auf dieser Seite. Wenn sie Pech hatten, wechselte der Kameramann gerade die Filmkassette, wenn das einzige Tor fiel.
Wohl niemand in der Redaktion grämte sich, dass sie keinen Bericht von den beiden aufsehenerregendsten Partien des ersten Bundesligaspieltags hatten, Karlsruhe gegen Meiderich und Werder Bremens 3:2-Sieg über den Meister Borussia Dortmund. Der Zeitdruck war zu groß, um sich zu ärgern, und sie waren auf jugendliche Art auch zu berauscht von sich und ihrem neuen Journalismus, um sich wegen so etwas Banalem wie verpassten Ereignissen zu grämen.
Nachdem Karl Senne von den Pferden aus Iffezheim berichtet hatte, rundete Dettmar Cramer die Sendung mit dem Bundesligaüberblick ab. An einer Klapptafel waren handschriftlich die Resultate des Spieltags aufgemalt. Cramer stand daneben und dozierte fachmännisch über Spiele, die er nicht gesehen hatte. Die Sportschau des Ersten Fernsehprogramms hatte gar
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