Spieltage
sind doch die Spieler von Meiderich. Wenn der Kellner das Bier, den Schnaps und den Sekt kassieren wollte, sagten die Fußballer: Das zahlt der Helmut. Und welcher Kellner traute sich schon, Helmut Rahn aufzufordern, er möge bitte die Rechnung begleichen?
Der Meidericher SV wuchs über seine Stadt hinaus. Die Heimspiele trug er in der Bundesliga in Duisburg aus, wo extra eine neue Tribüne mit 6500 Sitzplätzen errichtet wurde. Wer Sitzplätze hatte, würde bald die Liga dominieren, prophezeiten die Experten. Denn die Einnahmen der Klubs mit großen überdachten Tribünen lagen ein Vielfaches über denen der anderen. Der Hamburger SV konnte das städtische Volksparkstadion mit 30800 Sitzplätzen nutzen, bei Sitzplatzpreisen zwischen vier und zehn Mark versprach das den dreifachen Gewinn im Vergleich zu Schalke oder Eintracht Frankfurt mit jeweils nur 4200 Sitzplätzen.
In Duisburg kamen 36000 Besucher zum ersten Heimspiel des Meidericher SV, einem 3:1-Sieg über Frankfurt. Die Euphorie hielt sich noch ein wenig. Mitte September schlug sie in Aufgeregtheiten um. Helmut Rahn wurde als erster Spieler der Bundesliga des Platzes verwiesen. Wie üblich traten ihn im Spiel gegen Hertha BSC die Gegner hartnäckig in die Beine. Als Herthas Harald Beyer nach solch einem Foul direkt vor Rahn stehen blieb und ihn ansah, senkte Rahn den Kopf. Er rammte ihn Beyer ins Gesicht.
Der Platzverweis war für Unsportlichkeiten wie diese vorgesehen. Fouls waren eine andere Sache. Die Zuschauer pfiffen, wenn Heinz Höher bei einem hohen Pass aus dem Mittelfeld den Kopf einzog, statt hochzuspringen. Aber die Zuschauer hörten auch nicht die Stille in Höhers Rücken. Wenn es ruhig wurde, wenn er den Gegenspieler in seinem Rücken plötzlich nicht mehr hörte, war es am schlimmsten. Dann wussten die Außenstürmer wie Höher, jetzt war er im Anflug, jetzt rammt er dir gleich die Stollen in die Ferse oder den Ellenbogen in den Nacken. Wenn die Eisenfüße wie dieser Rehhagel von Hertha es gar zu schlimm trieben, bekam der Stürmer schon einmal einen Freistoß zugesprochen. Aber solange er nicht krankenhausreif getreten wurde, war es eigentlich in Ordnung.
Die Meidericher Mitspieler hatten volles Verständnis für Rahns Kopfstoß. Sie hatten seine Unterschenkel gesehen. Sie leuchteten in allen Farben, blau, gelb, grün. Einmal hatte Rahn seinem Kabinennachbarn Gecks eine Privatvorführung gegeben: Ein Finger ließ sich so tief in Rahns Waden stecken, dass er halb verschwand. So viel Wasser hatte sich in den Schwellungen der malträtierten Unterschenkel angesammelt.
In der Woche nach dem Platzverweis erschien Helmut Rahn nicht zum Training. Vor seinen Fenstern in Essen, wo er geboren wurde, wo er sein Leben lang wohnte, wo er in die Bierlokale ging, waren die Rollläden heruntergelassen. Auch Trainer Gutendorf wusste nicht, wo er war, verkündete aber schnell, er habe Rahn freigegeben, damit dieser die Enttäuschung wegen des Platzverweises überwinde.
Die Fanpost für Rahn wurde nicht weniger. Inmitten der Briefstapel fand sich eine Rechnung über 1200 Mark. Die Idee, im Nachtklub den Kellner mit »Das zahlt der Helmut« wegzuwinken, schien doch nicht so gut funktioniert zu haben.
Verteidiger Dieter Danzberg, der ein paar harte Jungs aus Meiderich kannte, besuchte in Begleitung seiner muskulösen Bekannten den Klubbesitzer, damit er die Zeche der Mannschaft deutlich senkte. Den Rest legten die Spieler zusammen.
Helmut Rahns Platzverweis war für Trainer Rudi Gutendorf nicht nur ein Rückschlag, sondern auch eine Gelegenheit. Ohne den gesperrten Boss, nach zwei aufeinanderfolgenden Niederlagen in Münster und gegen Hertha, musste und durfte der Trainer experimentieren.
Seit Jahrzehnten schon spielten deutsche und nahezu alle europäischen Mannschaften in derselben Formation, dem WM-System. Die fünf Abwehrspieler bildeten ein W auf dem Platz. An jedem Eckpunkt des Buchstabens muss man sich einen Spieler vorstellen. Wer ein W aufzeichnet, erkennt leicht die Position der zwei Außenverteidiger, des Stoppers in der Mitte und der zwei Läufer davor. Der Angriff war ein M mit zwei Außenstürmern, zwei Halbstürmern und einem Mittelstürmer.
Manchmal wurde das M ein wenig gedehnt, etwa als Bundestrainer Sepp Herberger im Weltmeisterschaftsfinale 1954 gegen Ungarn seinen rechten Halbstürmer Fritz Walter ein wenig weiter zurückgezogen als nach strenger Lehre üblich agieren ließ.
Die Brasilianer mit einem Jungen namens Pelé bei der
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